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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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stammten wohl eher von Daniel. Vielleicht hatte er genau das getan, hier an dieser Stelle, bis Felicity vorbeikam – an dem Tag, der sie beide das Leben kosten sollte.
    Er war ein Mörder. Scheiß auf sein Leben. Würde sich Leo wünschen, dass man den Mann verschonte, der Ellie entführt hatte, sollte er je – bitte, lieber Gott – vor dieser Entscheidung stehen? Würde Leo auf Gnade, Verständnis und Mitgefühl drängen, wenn das Opfer seine eigene Tochter war und nicht die eines Fremden? Würde er nach dem Warum fragen?
    Wahrscheinlich nicht.
    Ganz sicher nicht.
    Aber das war etwas anderes. Oder etwa nicht?
    Daniel war doch noch ein Kind. In den Augen einer Regierung, die er wegen seines Alters noch nicht wählen durfte, war er zu jung, um Zigaretten zu kaufen, Sex zu haben oder sich tätowieren zu lassen: um irgendeinen Fehler zu machen außer dem abscheulichsten von allen. Und er war nicht nur ein Kind, sondern vor allem ein Opfer. Man hatte ihn immer wieder im Stich gelassen. Dass er jemanden umgebracht hatte, war nicht allein sein Verbrechen, sondern auch das seiner Eltern, seiner Lehrer, des zuständigen Jugendamts und seiner Mitschüler. In mehr oder weniger starkem Maße natürlich, aber diente das Verurteilen anderer in diesem Kontext nicht nur dazu, sich selbst von jeder Schuld freizusprechen? Warum sollte Daniel den Preis allein zahlen, allein und ohne es zu verstehen, wenn er doch nur die Pistole abgefeuert hatte, die ihm alle anderen in die Hand gegeben hatten?
    Und trotzdem.
    Trotzdem, dieser Mann, der Ellie in seiner Gewalt hatte: War er denn nicht auch bloß ein erwachsenes Kind? Wahrscheinlich selbst ein Opfer, aber eines, das etwas länger in dieser Welt überlebt hatte. Nicht geistig gesund, aber nicht in Behandlung, ohne Beachtung. Auch durchs Raster gefallen, aber tiefer und härter. Sollte man dafür seine Eltern verantwortlich machen? Oder die Eltern seiner Eltern? Irgendwo musste man ja eine Grenze ziehen.
    Vielleicht sollten die Opfer entscheiden. In Felicitys Fall die Eltern des Mädchens, in Ellies Fall Leo und Megan. Das erschien ihm richtig. Gerecht. Nur dass Leo genau wusste, wofür er sich entscheiden würde, sollte er je in so eine Position gelangen. Er wusste, was er mit dem Mann machen würde – was er ihm eigenhändig antun würde –, wenn man ihm die Gelegenheit dazu gäbe. Alles, was die Gesellschaft Daniel wünschte, was die Massen vor dem Gericht lautstark gefordert hatten, was die Presse mit ihren Hetzartikeln anzustacheln versuchte – er würde dem Mann das Zehnfache davon wünschen, egal, wer er war, egal, welche Geschichte er hatte, und egal, wie er das Warum zu erklären versuchen würde. Und das wäre Leos Recht. Es wäre richtig. Wie konnte es das nicht sein, wenn es sich doch mit Sicherheit so gut anfühlen würde?
    Leo ging näher ans Ufer. Das Wasser zu seinen Füßen war grau und undurchdringlich wie Stein. Es schien sich nicht zu bewegen, aber so leicht ließ sich Leo inzwischen nicht mehr täuschen. Er wusste, was der Fluss verschlingen konnte und wie widerwillig er seine Beute wieder hergab.
    Er ging weiter, setzte auf dem unebenen Boden vorsichtig einen Fuß vor den anderen, aber nicht so vorsichtig, wie er sonst vielleicht gewesen wäre. Er wollte zwar nicht fallen, aber wenn doch, hätte es ihm auch nicht viel ausgemacht.
    Leo hörte ein Knistern, irgendetwas flatterte im Wind. Ihm war unheimlich zumute, und er drehte sich um, aber hinter ihm lag nur der Weg, den er gekommen war. Wieder hörte er das Geräusch, und diesmal konnte er die Richtung ausmachen, aus der es kam. Da – von dem Baum. Eine Esche, grau und mit knorpeligen Baumgeschwüren, und statt Laub trug sie nur ein Stück blau-weißes Absperrband, das die Polizei zurückgelassen hatte. Es flog auf, sank und flog wieder auf.
    Da war er also.
    An diesem Ort – dem Tatort – war so wenig Leben wie überall sonst, wo er an diesem Morgen vorbeigekommen war. So wenig Leben und auch so wenig anderes. Alles außer dem übrig gebliebenen Absperrband hatte der Wind weggeweht oder der Regen fortgespült. Hier war es ordentlicher, als es vielleicht hätte sein sollen. Kein Müll und kein Gerümpel wie weiter flussaufwärts; nichts, was nicht bereits, fein säuberlich in Tüten verpackt, in einer Asservatenkammer lagern würde.
    Leo wischte sich über die Augen. Es war der Wind, sagte er sich. Er drehte sich um, stellte sich mit dem Rücken dazu und wischte sich noch einmal die Augen.
    Also

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