Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)
wieder zurück. Oder weitergehen? Keine leichte Entscheidung, zumal es kein Pro und kein Kontra gab, nichts, was man rational abwägen konnte. Außerdem kam es ihm ohnehin so vor, als wäre von seiner Vernunft nicht mehr viel übrig. Schlimmer noch, als wäre sie zu nichts nutze. Links, rechts, da entlang oder dort entlang. Wohin auch immer er sich wandte, nichts lieferte einen Anhaltspunkt. Er wusste nicht mehr weiter. Eigentlich war das schon seit dem Tod seines Vaters so. Er hatte zurückgeblickt, als er nach vorn hätte blicken sollen. Hatte nach innen gesehen, als er nach außen hätte sehen müssen. Hatte an dem gezweifelt, was er erreicht hatte, und damit bewirkt, dass sein bisher einziger Erfolg im Leben ziemlich bald zerfallen und im Nichts verschwinden würde.
Was tat er hier eigentlich – was tat er wirklich? Was hoffte er bei seiner Suche zu finden?
Einen Ausweg.
Flucht.
Die Freiheit, Daniel beiseitezuschieben.
Es bestand natürlich die Hoffnung, dass das Leben des Jungen der Preis für das seiner Tochter war. Dass es ihm genügen würde – wer auch immer er war, dieser gesichtslose Fremde mit dem Bart. Dass Daniels Plädoyer auf schuldig der Schlüssel zu Ellies Ketten wäre.
Aber er glaubte es nicht. Hätte er daran geglaubt, hätte er sofort in den Tausch eingewilligt. Nimm ihn. Nimm ihn, wenn das der Preis ist, und meine Arme und Beine gleich mit, aber gib mir mein Herz zurück.
Hoffnung also nicht. Es war die Angst, merkte er, die Angst trieb ihn auf diese Suche – oder vielmehr diese Flucht, die Flucht vor einer Wahrheit, die er schon die ganze Zeit in sich trug.
Ellie war verloren. Und Daniel auch. Leo hatte die eine im Stich gelassen, und nun fiel diesem Fehler auch der andere zum Opfer.
23
GEMEIN UND NIEDERTRÄCHTIG … DIE BARBARISCHE TAT EINES MONSTERS
Von Tim Cummins
Der zwölfjährige Daniel Blake bekannte sich gestern des Mordes und sexuellen Missbrauchs an Felicity Forbes schuldig.
Mr. Justice Murdoch, der das Verbrechen des Jungen als »die barbarische Tat eines Monsters« bezeichnete, sorgte dafür, dass Daniel (s. Foto) für »viele, viele Jahre hinter Gitter« muss, und fügte hinzu: »Es war eine gemeine und niederträchtige Tat.«
Während seines Plädoyers zeigte der Junge keinerlei Anzeichen von Reue. Erst als der jüngste verurteilte Mörder des neuen Jahrtausends abgeführt wurde, vergoss er eine Träne, wohl ebenso sehr über sein eigenes Schicksal wie über das seines Opfers.
Die elfjährige Felicity wurde an einem klaren, kalten Tag im Januar dieses Jahres auf brutalste Weise angegriffen und ermordet; ihr Leichnam wurde im Fluss entsorgt und erst zwei Wochen später gefunden.
Weiter auf Seite 2
DIE TRÄNEN EINES MÖRDERS …
ABER ER WEINT NUR UM SICH
Opfervater zeigt sich erleichtert, betont aber:
Der Alptraum wird niemals enden
Fortsetzung von Seite 1
Daniel Blake, dessen Name nun zum ersten Mal öffentlich genannt wird, wurde Anfang Februar festgenommen und angeklagt.
»Du hast mit deiner Tat eine Familie auseinandergerissen«, sagte der Richter. »Du hast Herzen gebrochen und Leben zerstört und hast es verdient, viele, viele Jahre hinter Gittern zu verschwinden – bis der Innenminister überzeugt ist, dass du deine Tat bereust und voll resozialisiert bist.«
Während der Abschlussbemerkungen des Richters wurden auf der Besuchertribüne vereinzelte Jubelrufe laut. Felicitys Mutter war nicht anwesend, aber ihr Vater im Kreise weiterer Familienmitglieder wahrte während der gesamten Verhandlung würdevolles Schweigen.
Der Richter erklärte seine Entscheidung, den Identitätsschutz des Angeklagten aufzuheben, mit den »tragischen und einzigartigen Umständen, die diesen Mord außerhalb normaler Maßstäbe setzen«.
INTERESSE DER ÖFFENTLICHKEIT
Er stimmte dem von unserer und anderen Zeitungen vorgebrachten Argument zu, dass Daniel Blake »im Interesse einer fairen und ausgewogenen Berichterstattung« namentlich genannt werden müsse.
Ein so eiskalter Mörder dürfe sich »vor seinem Verbrechen nicht verstecken können«, so der Richter, insbesondere vor dem Hintergrund, dass er seinem Opfer gegenüber »nicht die geringste Gnade walten ließ«.
Dem Richter zufolge entstehe ein »moralisches Ungleichgewicht«, wenn man die Familie des Opfers den Augen der Öffentlichkeit ausliefere und es dem Mörder gleichzeitig erlaube, sich hinter dem »Schild der Anonymität« zu verbergen.
Blakes Mutter Stephanie und sein Stiefvater Vincent zeigten keinerlei Regung,
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