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Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Das Kind, das tötet: Roman (German Edition)

Titel: Das Kind, das tötet: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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mit Daniel?«, fiel Leo seinem Chef ins Wort. »Sie meinten, seine Eltern seien zufrieden und Dale auch. Aber was ist mit dem Mandanten selber?«
    Diesmal ließ Howard Terry nur zu gern antworten.
    »Auch der Mandant«, sagte Terry und betonte das Wort so, wie Leo es getan hatte, »ist recht zufrieden. Ich hatte heute Morgen einen Termin mit ihm. Das wollte ich Ihnen noch berichten«, sagte er zu Howard. »Er hat mir seine Anweisungen gegeben. Deutlicher hätte er es nicht tun können. Er war froh, dass endlich mal jemand Klartext mit ihm redet.«
    Leo sah ihn an. »Was soll denn das heißen?«
    Terry spreizte die Finger. »Nur was ich gesagt habe. Ich will dich jetzt auch gar nicht kritisieren, Leo. Nicht nach dem, was mit deiner Kleinen passiert ist.«
    »Nur zu, Terry, lass dich davon nicht abhalten! Immer raus damit, wenn du mich kritisieren willst!«
    »Meine Herren! Bitte! Bemühen wir uns um eine freundschaftliche Atmosphäre, ja?«
    Leo starrte ihn wütend an, und Howard wich zurück. Leo wollte gerade noch etwas sagen, als ihm Terrys Worte wieder einfielen. »Was für Anweisungen? Wie hast du dich verhalten, Terry? Was hast du zu ihm gesagt?«
    Seine Eltern sind zufrieden. Der Kronanwalt ist zufrieden. Sogar Karen …
    »Terry? Antworte mir. Was hast du Daniel geraten?«
    Aber Terry schwieg. Seine Miene war Antwort genug.

22
    E r hatte nicht vorgehabt, hier zu sein. Er hatte seit drei Uhr nachts wach gelegen, war gegen fünf ins Auto gestiegen und ab sieben Uhr hier gewesen – ein Ausrutscher seines Unterbewusstseins. Er hatte eine Weile dagesessen, angeschnallt und mit laufendem Motor, bis er sich endlich überwinden konnte, sich der Stille auszusetzen. Zuerst war sie überwältigend gewesen, hatte ihn schier verschlungen, aber nach einer Weile war sie rissig geworden, und die Geräusche der Außenwelt waren hereingesickert: das schläfrige Knarren des Kneipenschilds an der Straße, die Möwen oder Tölpel, die zwar noch nicht aus vollem Halse schrien, aber ab und zu ihre Stimmen ausprobierten, während sie Figuren an den farblosen Himmel zeichneten, und der Fluss jenseits der Böschung, die den Parkplatz begrenzte, aufgedunsen vom Regen und auf beiden Seiten über das Ufer tretend. Und dann die Kälte. Auch die konnte Leo förmlich hören, wie sie mit eisigen Fingern an der Windschutzscheibe kratzte und ihn aus der schwindenden Wärme des Wageninneren herauszulocken versuchte.
    Er löste den Gurt und ließ ihn über seine Brust gleiten, dann zog er sich seine Wollmütze über die Ohren und suchte auf dem Beifahrersitz nach seinen Handschuhen. Zwischen den Karten, Flyern und in Folie verpackten, halb gegessenen Sandwiches fand er nur den linken. Da der rechte weder im Fußraum lag noch neben dem Sitz steckte, zog Leo eben nur einen an.
    Zu Leos Erstaunen war es windstill. Das Schild knarrte zwar weiterhin und die Baumwipfel wiegten sich, aber dort, wo Leo den Wagen geparkt hatte, hielten die Mauern des Pubs den Wind ab. Die Kälte war allerdings nicht weniger beißend als befürchtet, und Leo zog den Reißverschluss seines Anoraks bis zum Kinn. Er sah sich um, als wüsste er nicht genau, in welche Richtung er gehen sollte, dabei war ihm eigentlich in dem Moment, als er merkte, wohin ihn seine Fahrt geführt hatte, klar gewesen, welchen Weg er einschlagen würde. Er schob die Hände tiefer in die Taschen und ging über den knirschenden Parkplatzkies zum Fluss.
    Er nahm an, dass man ihn beobachtete. Nicht weil er so ein Gefühl gehabt hätte, ein Kribbeln im Nacken oder sonst irgendetwas, sondern weil er sich einfach nicht vorstellen konnte, dass seine Anwesenheit unbemerkt blieb. Er habe sie jeden Tag gesehen, hatte der Pächter des Pubs gesagt. Zumindest an jedem Schultag. An seinem Fensterplatz, wo er jeden Morgen saß, bemerkte er alles, was sich von kurz nach sieben bis neun Uhr vor seinem Lokal abspielte. Nicht viel übrigens. Und wenn er Felicity am Tag ihrer Ermordung gesehen hatte – wenn er, wie er jetzt wusste, der Letzte war, der sie lebend gesehen hatte –, wie konnte er seine Beobachtungen dann nicht an jedem darauffolgenden Tag weiterführen?
    Leo fragte sich, was der Wirt wohl über ihn dachte, falls er ihn beobachtete. Ob er ihn für einen Journalisten hielt, einen, der den Schuss zu spät gehört hatte, oder einen besonders hartnäckigen, oder eine Art Katastrophentouristen, von denen er ganz sicher auch schon eine Menge gesehen hatte. Leo warf einen kurzen Blick zu dem Gebäude, zu

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