Das Kind der Rache
über den Berg.
Zunächst habe ich ihm das auch geglaubt. Ich meine, er hat
sich gestern abend ziemlich normal aufgeführt. Er hat
mitgelacht, wenn wir einen Witz gemacht haben. Er war fast
so, wie er vor dem Unfall war.« Sie verstummte, aber Finnerty
war entschlossen, der Spur zu folgen. Er bat sie, ihm klipp und
klar zu sagen, was ihr an Alex aufgefallen sei.
»Ich weiß nicht recht«, entschuldigte sich Lisa. »Ich erinnere
mich nur, daß Bob eine Bemerkung gemacht hat, die Alex
ärgern sollte. Normalerweise wäre Alex bei einer solchen
Gelegenheit rot geworden. Aber er zeigte keine Reaktion.«
»Und das ist alles?« fragte Sergeant Finnerty. »Daß er bei
einem Scherz, der auf seine Kosten ging, keine Reaktion
gezeigt hat?«
Lisa nickte. »Es geschah vor dem Unfall sehr oft, daß Alex
errötete. Manche meiner Freunde haben daraus ein richtiges
Spiel gemacht. Man brauchte Alex nur anzusehen, dann wurde
er rot bis zu den Haarspitzen. Gestern abend war es ganz
anders. Was immer wir sagten, er ist nicht rot geworden.«
»Ich verstehe«, sagte Finnerty. Er ließ sein Notizbuch und
den Kugelschreiber in seiner Uniform verschwinden. Er
verabschiedete sich und verließ zusammen mit seinem
Kollegen das Haus. Auf dem Weg zum Wagen fragte er
Jackson: »Was hältst du von der ganzen Sache?«
»Ich fürchte, wir stochern im falschen Ameisenhaufen
herum«, gab Jackson zur Antwort. »Trotzdem ist es eine Spur.
Wir könnten uns diesen Alex Lonsdale einmal vorknöpfen.«
»Yeah«, sagte Finnerty. »Teenager sind merkwürdige
Wesen«, bemerkte er kopfschüttelnd. »Das Mädchen hat den
ganzen Abend in Gesellschaft eines Freundes verbracht, und
das einzige, was ihr auffällt, ist: Er ist nicht errötet. Eine
Beobachtung von geradezu weltbewegender Bedeutung.«
Jackson ging nicht ein auf seinen Spott. »Vielleicht ist es
wichtig«, sagte er. »Vielleicht ist es sehr wichtig.«
Einundzwanzigstes Kapitel
Marsh Lonsdale war dabei, als die beiden Beamten die
Zeugenaussage seines Sohnes aufnahmen. Das Gespräch fand
im Wohnzimmer der Familie Lonsdale statt. Sie saßen im
Halbkreis um den Kamin. Ellen hatte in einiger Entfernung von
der Gruppe auf einem Stuhl Platz genommen, als könnte sie
durch diese Geste die unangenehmen Ereignisse von sich
fernhalten.
»Alles!« Mit diesem Wort hatte Sergeant Finnerty die
Befragung seines Zeugen vor einer Stunde begonnen. »Wir
möchten, daß du uns alles sagst, was du gestern abend erlebt
hast. Alles, woran du dich erinnern kannst.«
Alex' Schilderung nahm eine volle Stunde in Anspruch. Er
sprach mit monotoner Stimme. Er sagte den Beamten, was er
am Abend zuvor unternommen hatte, von dem Augenblick an,
als er das Haus verließ, um zu Jake's Place zu fahren, bis zu
seiner Rückkehr. Marsh, der Vater, hatte den Eindruck, der
Wiedergabe einer Tonbandaufnahme zuzuhören. Alex zitierte
wortwörtlich jeden Satz, den seine Freunde gesagt hatten.
Zwanzig Minuten lang machten sich die Beamten Notizen,
dann legten sie ihre Aufzeichnungen auf den Tisch und
beschränkten sich aufs Zuhören. Es war einfach nicht möglich,
die Fülle der Informationen in so kurzer Zeit zu Papier zu
bringen. Nachdem Alex geendet hatte, herrschte einige
Minuten lang Schweigen. Sergeant Finnerty stand auf. Er
lehnte sich mit dem Rücken an den Kaminsims und maß Alex
mit einem neugierigen Blick.
»Du kannst dich wirklich an soviel Einzelheiten erinnern?«
fragte er.
Alex nickte.
»Kaum zu glauben, daß du dich an jedes Wort erinnerst, das
gestern abend im Kreise deiner Freunde gefallen ist«, bemerkte
Finnerty. Es hörte sich an, als spräche er mit sich selbst.
»Der Junge hat ein bemerkenswertes Gedächtnis«, warf
Marsh ein. Es war das erste Mal seit Beginn der Vernehmung,
daß er das Wort ergriff. »Es scheint sich um eine Folge der
Gehirnoperation zu handeln, die nach dem Unfall durchgeführt
worden ist. Wenn er Ihnen sagt, daß er diese Erinnerungen hat,
dann können Sie ihm glauben.«
»Ich habe keinen Zweifel daran, daß er die Wahrheit sagt«,
entgegnete ihm Finnerty. »Ich bin nur erstaunt über die
Genauigkeit, mit der sein Gedächtnis funktioniert.« Er wandte
sich zu Alex. »Du hast uns jetzt erzählt, was in Jake's Place
vorgefallen ist. Du hast uns auch berichtet, was jeder einzelne
deiner Freunde gesagt hat. Was wir jetzt von dir wissen wollen,
bezieht sich nur auf Kate Lewis und Bob Carey. Haben die
beiden sich normal benommen?«
Alex sah ihn an, ohne
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