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Das Kind der Rache

Das Kind der Rache

Titel: Das Kind der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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nicht beantworten kann. Wer
weiß schon genau, was Tod überhaupt bedeutet? Juristisch
gesehen, hätte Alex in der Nacht des Unfalls für tot erklärt
werden können. Das Gehirn zeigte damals keine Reaktionen
mehr, und das ist das klassische Kriterium für das, was man in
der Medizin als Exitus bezeichnet. Gehirntod.«
»Aber er atmete doch noch«, widersprach ihm Ellen.
»Nein, Ellen! Er wurde beatmet, das ist ein großer Unterschied. Maschinen... Und jetzt hat Raymond Torres weitere
Maschinen erfunden. Alex kann gehen und sprechen. Nur, daß
es sich nicht mehr um Alex handelt. Der Junge benimmt sich
nicht wie Alex. Er denkt nicht wie Alex. Er zeigt andere
Reaktionen als Alex. Seit Wochen hatte ich das merkwürdige
Gefühl, daß sich der Alex, den wir kennen und lieben, bereits
im Jenseits befindet. Der Mensch, der nach der Operation in
unser Haus zurückkehrte, ist ein anderer Mensch. Besser
gesagt, es handelt sich um einen Roboter, dem Raymond
Torres den Körper unseres Sohnes als sterbliche Hülle
beigegeben hat.«
»Aber es ist doch Alex' Körper«, wandte Ellen ein.
»Es ist seine sterbliche Hülle«, wiederholte Marsh. »Es ist
üblich, daß der Körper beerdigt wird, wenn der Mensch tot ist.
Ich frage dich, hat Alex denn noch eine Seele?«
Ellen antwortete nicht. Sie starrte auf die vorbeigleitende
Landschaft, in der sich die Farben des Abends abzeichneten.
»Wenn er wirklich keine Seele mehr hat«, sagte sie nach
langem Schweigen, »wie erklärst du es dir dann, daß ich ihn
noch liebe? Warum habe ich immer noch das Gefühl, ich hätte
einen Sohn?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Marsh. Dann: »Ich möchte
dir sagen, daß ich die Worte, die ich vorhin in Dr. Torres' .Büro
gesagt habe, bedauere. Ich war zornig, und ich war verletzt,
deshalb habe ich mich dazu hinreißen lassen, Alex für tot zu
erklären. Aber mein Gefühl sagt mir, daß er noch lebt. Er ist
und bleibt unser Sohn. Ich liebe ihn ebensosehr wie du, Ellen.«
Es war das erstemal seit vielen Monaten, daß Ellen ihrem
Mann die Arme um den Hals legte und ihn küßte. »Marsh, was
sollen wir tun?«
»Wir müssen warten«, beschied er sie. »Warten, bis Alex
wieder nach Hause findet.«
Er verschwieg ihr, daß er wenig Hoffnung hatte, Alex je
wiederzusehen.
Vierundzwanzigstes Kapitel
    Es war kein großes Haus. Obwohl Alex weder den Straßennamen noch die Hausnummer erkennen konnte, zweifelte er
nicht daran, daß es die Adresse war, die er gesucht hatte. Es
war ganz einfach gewesen. Als er, von La Paloma kommend,
in Palo Alto ankam, hatte er alle Bilder und Erinnerungen des
anderen Ortes verdrängt. Er hatte seine Gedanken auf die
Suche nach ›seinem‹ Haus konzentriert. Er brauchte dann nur
noch den Impulsen zu folgen, die sein Gehirn beim Passieren
der verschiedenen Straßenkreuzungen aussandte. Nach kurzer
Fahrt war er vor dem Haus angekommen, das - Alex wußte das
mit hundertprozentiger Sicherheit - Dr. Raymond Torres gehörte. Er hielt den Wagen an, um das im maurischen Stil
errichtete Gebäude zu betrachten, dann bog er in die Einfahrt
ein. Er parkte den Wagen auf dem Parkplatz hinter dem Haus.
Das Fahrzeug war jetzt von der Straße aus nicht mehr zu sehen.
    Alex stieg aus und öffnete den Kofferraum.
Er nahm das Gewehr heraus und überquerte den Rasen, um
zum Hintereingang des Hauses zu gelangen. Vergeblich
versuchte er, den Türknopf zu drehen. Die Tür war
abgeschlossen.
    Er betrat den Innenhof. Er hätte nicht sagen können, wonach
er suchte, aber er war sicher, er würde den Gegenstand sofort
wiedererkennen, wenn er ihn erblickte.
    Wie von einer magischen Kraft angezogen, ging er auf ein
mit Blumen bepflanztes Terrakottagefäß zu. Er fand den
Reserveschlüssel, der in Aluminiumfolie eingewickelt war,
unter einer Schicht trockener Blätter. Er schloß die rückwärtige
Eingangstür auf, durchschritt die Küche und das Speisezimmer
und gelangte, nachdem er den Flur passiert hatte, ins
Wohnzimmer. Alle Räume waren ihm wohlvertraut.
    Er wußte, das Wohnzimmer war der Raum, wo sich Dr.
Torres die meiste Zeit aufhielt. Es war mit einem offenen
Kamin ausgestattet. Vor dem Fenster stand ein altertümlicher
Schreibtisch, der einen merkwürdigen Gegensatz zu den
Büromöbeln aus schimmerndem Stahl darstellte, die Dr. Torres
für das Institut bevorzugte. Alex näherte sich dem
Bücherschrank. Er hatte eine klare Idee, was er suchte, und er
wußte auch schon, wo er es finden würde.
    Er durchblätterte die Bücher,

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