Das Kind der Rache
baten, ihren Sohn zu operieren, war die
Gelegenheit zur Abrechnung gekommen. Er hatte Mikroprozessoren in das Gehirn des Schwerverletzten implantiert
und die Chips mit Erinnerungen programmiert, die Alex
unmöglich haben konnte. Wenn der Junge bei einem der Morde
entdeckt und befragt wurde, würde er von einem Massaker
erzählen, das sich vor Generationen ereignet hatte. Er würde
sagen, der Geist eines längst Verstorbenen sei in ihn gefahren.
Im Auftrag von Alejandro de Melendez y Ruiz müsse er Rache
an den Nachfahren der Schuldigen nehmen.
Die Wahrheit würde sorgfältig verborgen bleiben, weil
Torres in den Programmen den Haß ausgespart hatte, den er
gegen die vier Frauen empfand, gegen Marty, Valerie, Cynthia
und Ellen, die ihn in der Schule wie Luft behandelt hatten.
In Torres' Erinnerung erstanden die Worte, die seine Mutter
damals zu ihm gesagt hatte...
»Hattest du wirklich erwartet, eines dieser Mädchen würde
dich auch nur eines Blickes würdigen, Ramon? Es sind Gringas, die für Menschen unserer Rasse nur Verachtung übrig
haben. Diese Geschöpfe denken nicht anders als ihre
Vorfahren, die unsere Ahnen ermordet haben. Wenn sie
Gelegenheit hätten, würden sie auch dich ermorden. Du wirst
in den nächsten Jahren sehen, daß ich recht habe. Die Gringos
hassen uns. Und deshalb mußt auch du sie hassen.«
Seine Mutter hatte recht behalten. Der Haß in seinem Herzen
war aufgeblüht wie eine Rose. Raymond Torres haßte die vier
Frauen, wie seine Mutter es ihn gelehrt hatte.
Und jetzt strebte alles einem unheilvollen Ende zu. Raymond
Torres wußte, was Alex, sein Geschöpf, tun würde. Auf eine
merkwürdige Weise billigte er schon jetzt den fünften Mord,
den der Junge begehen würde. »Wie hast du das alles
herausgefunden?« fragte er.
»Mit Hilfe der Mikroprozessoren, die Sie mir eingesetzt
haben«, antwortete Alex. »Ich habe die Programme wieder und
wieder durchlaufen lassen, bis sich die Wahrheit
herausgeschält hat. Ein wichtiger Anhaltspunkt war das Buch
über Anatomie. Nach den Verletzungen, die ich beim Unfall
erlitten hatte, hätte ich tot sein müssen. Aber ich war nicht tot.
Es gab also Daten, die zueinander in Widerspruch standen. Die
logischen Schlüsse waren schnell gezogen. Es gab nur eine
Methode, wie man meinen Körper am Leben erhalten konnte.
Nachdem es kein Gehirn mehr gab, das die Körperfunktionen
steuern konnte, mußten die notwendigen Impulse von
Mikroprozessoren gegeben werden.« Alex streichelte den Lauf
der Waffe. »Ein Stolperstein waren die Erinnerungen, die ich
hatte.
Alex Lonsdale konnte keine Erinnerungen haben, weil sein
Gehirn gestorben war. Trotzdem erinnerte ich mich an eine
Reihe von Ereignissen. Die einzig mögliche Erklärung war,
daß ich von Ihnen mit künstlichen Erinnerungen programmiert
worden war. Nachdem ich das erkannt hatte, war mir klar, wer
ich war.«
»Mein Sohn«, sagte Torres mit väterlicher Zärtlichkeit. »Der
Sohn, den ich nie hatte.«
»Nein«, erwiderte Alex. »Ich bin nicht Ihr Sohn, Dr. Torres.
Ich bin Sie, und Sie sind ich. In meinem Kopf sind die
Erinnerungen, mit denen Sie aufgewachsen sind. Es sind nicht
meine, sondern Ihre Erinnerungen, Dr. Torres! Haben Sie jetzt
verstanden?«
»Es ist nicht wichtig, ob es deine oder meine Erinnerungen
sind«, sagte Torres.
»Wirklich nicht? Wenn wir zwei verschiedene Menschen
wären, wie Sie vorgeben, dann würde man das, was jetzt
geschehen wird, als Mord bezeichnen. Ein Sohn, der seinen
Vater umbringt. Aber da Sie und ich die gleichen Erinnerungen
haben, sind wir ein und derselbe Mensch. Man wird die Tat
also als Selbstmord bezeichnen müssen.«
Alex hob das Gewehr, zielte und drückte ab. Der Schuß traf
Raymond Torres in den Kopf. Er war tot, noch bevor er
zusammenbrach.
Als Alex das Haus verließ, begann das Telefon zu läuten. Er
achtete nicht darauf. Er ging hinaus, setzte sich in Dr. Torres'
Wagen, der nun ihm gehörte, startete den Motor und trat die
Rückfahrt nach La Paloma an.
Drei der vier Frauen waren tot: Valerie Benson, Marty
Lewis, Cynthia Evans.
Nur Ellen Lonsdale lebte noch.
»Niemand nimmt ab«, sagte Sergeant Finnerty und legte den
Hörer auf die Gabel zurück. Er wandte sich zu Marsh und Ellen
Lonsdale, die ihm gegenüber auf dem Sofa saßen.
Ellen war bleich wie die Wand, ihre Hände zitterten. Die
Augen waren vom Weinen gerötet. Seit Finnerty im Haus war,
hatte sie kein Wort gesprochen.
Marsh schien von einer
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