Das Kind der Rache
wahr!«
»Natürlich ist das wahr«, belehrte ihn Alex. »Und die
Schwierigkeiten, die ich mit dem Denken hatte, sind Ihnen
auch nicht verborgen geblieben. Sie haben sehr bald erkannt,
daß Sie mir so etwas wie Persönlichkeit geben mußten. Sie
mußten mich mit zusätzlichen Daten programmieren, damit ich
für die Menschen den Eindruck eines Genesenden machte. Es
sollte so aussehen, als hätte ich bei dem Unfall mein
Gedächtnis verloren. In der Tat, ich hatte keine Erinnerungen
mehr, aber der Grund war nicht der Unfall, sondern die
Operation. Sie, Dr. Torres, waren es, der mir neue
Erinnerungen eingepflanzt hat. Allerdings die falschen.«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, was du mit alledem
sagen willst. Ich fürchte, du weißt überhaupt nicht, wovon du
sprichst.«
»Es ist merkwürdig«, sagte Alex, ohne auf den Vorwurf
einzugehen. »Aber das Täuschungsmanöver, das Sie
durchführten, war so perfekt, daß ich große Schwierigkeiten
hatte, Ihnen auf die Spur zu kommen. Durch eine Reihe von
kleinen Fehlern haben Sie sich verraten. Sie waren zu
ehrgeizig. Hätten Sie es bei den Programmen gelassen, die sich
auf die ferne Vergangenheit, auf das Massaker auf der
Hazienda bezogen - Ihr Plan wäre nie entdeckt worden.«
»Massaker? Hazienda? Wovon sprichst du?«
»Ich spreche von Ihren eigenen Erinnerungen. Von den
Geschichten, die Ihnen Ihre Mutter erzählt hat, als Sie noch ein
Kind waren.«
»Meine Mutter hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun.
Soweit sie dir etwas erzählt hat, darfst du das nicht ernst
nehmen. Sie ist eine alte Frau, die nicht mehr weiß, was sie
sagt.«
»Sie weiß sehr wohl, was sie sagt«, widersprach ihm Alex.
»Und auch Sie wissen ganz genau, um was es geht. Die
Erinnerungen, mit denen Sie mich programmierten, hatten nur
den einzigen Zweck: Sie sollten mich zum Töten motivieren.
Das hat auch funktioniert. Ich habe die Morde ausgeführt, mit
denen Sie mich beauftragten. Natürlich sorgten Sie dafür, daß
ich keine Erinnerung an die Morde bewahrte. Sie taten das,
indem Sie bei den Testuntersuchungen alle diesbezüglichen
Informationen in meinen Datenbänken löschten. Ohnehin
bestand zunächst wenig Gefahr, daß ich Sie verraten würde.
Selbst wenn ich mich an die Morde erinnerte, ich hätte keine
Auskunft geben können, warum ich die Taten beging. Oder
aber ich hätte etwas von venganza gefaselt. Ich hätte mich als
Reinkarnation von Alejandro de Melendez y Ruiz ausgegeben.
Ich hätte von Rache gesprochen, Rache für ein Ereignis, das
mehr als hundert Jahre zurückliegt. Die Leute hätten mich für
verrückt erklärt. Und genau das war Ihre Absicht.«
»Wie es sich anhört, bist du wirklich verrückt«, sagte Torres
und stand auf.
Alex hob das Gewehr und richtete den Lauf auf die Stirn
seines Gegenüber. »Setzen Sie sich«, befahl er. Torres zögerte,
schließlich ließ er sich auf seinen Sessel zurücksinken. »Nicht
ich wollte Rache, sondern Sie«, fuhr Alex fort. »Allerdings
nicht für das Massaker, das im Jahre 1848 geschehen war. Sie
wollten sich für eine Demütigung rächen, die man Ihnen vor
zwanzig Jahren zugefügt hat.«
»Was du da sagst, ergibt keinen Sinn.«
»Es ergibt sehr wohl einen Sinn«, beharrte Alex. »Die
Schule. Das ist nur einer der Fehler, der Ihnen bei der Programmierung unterlaufen ist. Ich habe das Büro des Dekans an
der Stelle gesucht, wo es sich vor zwanzig Jahren befand, nicht
dort, wo es heute ist. Damals besuchten Sie die La Paloma
High School. Wo vor zwanzig Jahren der Dekan saß, ist heute
die Krankenschwester untergebracht.«
»Das beweist gar nichts.«
»Womit Sie recht haben«, sagte Alex. »Ich hätte die Fotos
der Räume schließlich auch im Jahrbuch meiner Mutter sehen
können, die mit Ihnen zur Schule gegangen ist.«
Dr. Torres ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Auf
einem Tischchen neben dem Bücherregal lag das Jahrbuch der
La Paloma High School, das Alex bei der Durchsuchung des
Hauses herausgenommen und aufgeschlagen hatte. Als er das
Foto mit den vier Mädchen sah, die mit ihm die Schulbank
gedrückt hatten, verspürte er einmal mehr den Schmerz einer
Wunde, die er vor zwanzig Jahren empfangen hatte.
Marty, Valerie, Cynthia und Ellen.
Es waren diese vier, die ihn damals gedemütigt hatten,
indem sie ihn abwiesen. Die Wunde war nie verheilt.
Über Jahre hinweg hatte Raymond Torres Pläne geschmiedet, wie er sich an den Mädchen rächen konnte.
Als Alex' Eltern ihn
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