Das Kind der Stürme
werden. Nach einer Weile füllten sich Sibeals Augen ebenfalls mit Tränen, und dann fingen auch die anderen an, bis mein Zimmer voller Elend und Kummer war. Dieser Kummer war so ansteckend, dass er sich in jede Ecke des großen Hauses ausbreitete. Er schlich auch in mein eigenes Herz, wo Schuldgefühle und Zweifel mit dem Gedanken an die Aufgabe rangen, die ich erledigen musste. Es nahm mir die Kraft und zerrte an meinem Willen. Ich dachte, ich könnte es kaum aushalten, noch einen Augenblick länger hier bei dieser Familie zu bleiben, in diesem Haus, gefangen vom Regen, erdrückt vom Wald, ertrinkend in Tränen, eingesperrt mit den Folgen meiner Tat. Ich hätte alles gegeben, um fliehen zu können, nur für einen einzigen Augenblick, nur um wieder atmen und zu Kraft kommen zu können.
Die Rettung kam aus einer unerwarteten Ecke. Die Mädchen steigerten sich in einen Zustand vollkommenen Elends, und ich verließ das Zimmer, um etwas zu suchen, das sie ablenken würde, denn mir waren die Ideen ausgegangen. Ich ging durch den oberen Flur, tief in Gedanken versunken, und wusste kaum, was ich tat. Ich war schon am Krankenzimmer vorbei und hatte nicht hineingeschaut. Aber die Geräusche hatte ich gehört. Man konnte sie nicht ignorieren, ganz gleich, wie sehr man sich anstrengte. Als ich die Treppe erreichte, gaben meine Knie plötzlich nach, und ich musste mich auf die oberste Stufe setzen und schlug die Hände vors Gesicht. Wenn ich doch nur aufhören könnte zu denken! Wenn ich doch nur die Stimmen, die mich quälten, ausschließen könnte! Wir dachten, du interessiertest dich nicht für die Opfer, die du am Weg zurücklässt.
»Fainne?«
Ich nahm die Hände weg und blickte auf. Drei oder vier Stufen unter mir stand Eamonn in Reitkleidung. Sein braunes Haar war klatschnass, und er sah mich freundlich besorgt an.
»Du siehst nicht aus, als ob es dir besonders gut ginge«, meinte er mit leichtem Stirnrunzeln. »Du bist bestimmt erschöpft. Ich habe gehört, dass du mit den kleinen Mädchen hilfst. Es tut mir sehr Leid zu hören, was geschehen ist. Ich bin hergekommen, sobald Aislings Bote mir berichtet hat, was geschehen ist.«
Es fiel mir schwer, meine Überraschung zu verbergen. »Das Wetter ist so schlecht«, sagte ich schlicht. »Ich dachte, niemand würde bei solchem Regen auch nur nach draußen gehen. Tante Liadan wird aufgehalten werden. Das glauben sie zumindest.«
Einen Augenblick lang veränderte sich seine Miene, aber es ging zu schnell, als dass ich es hätte deuten können. »Ich dachte, ich würde hier vielleicht gebraucht«, sagte Eamonn.
»Ich bin sicher, Tante Aisling wird froh sein, Euch zu sehen«, erwiderte ich höflich. »Sie ist sehr aufgeregt. Maeve ist sehr krank.«
Er nickte. »Und bist du ebenfalls froh, mich zu sehen, Fainne?«, fragte er leise.
»Ja«, sagte ich, und das entsprach der Wahrheit. Er stand außerhalb von all dem – dem Weinen, den Steinmauern, der erdrückenden Dunkelheit des Waldes. Ich konnte ihn ansehen, ohne mich daran erinnern zu müssen, was ich getan hatte, weil er keinen Anteil daran gehabt hatte.
»Ah«, sagte er und streckte die Hand aus, um eine Haarsträhne, die sich gelöst hatte, hinter mein Ohr zu schieben – eine seltsam vertrauliche Geste. »Das ist etwas Bemerkenswertes an dir, Fainne. Du sagst immer genau, was du denkst.«
Ich spürte, wie ich wieder rot wurde. »Vielleicht fehlen mir die verfeinerten Manieren eines Mädchens aus einem Haushalt wie diesem. Ich sage, was ich denke. Ich habe es nie anders gelernt. Aber ich möchte Euch nicht in Verlegenheit bringen, indem ich etwas Unangemessenes sage.«
»Du bringst mich nicht in Verlegenheit, meine Liebe«, sagte er mit einem dünnen Lächeln. »Ich mag deine Ehrlichkeit. Und jetzt komm, du solltest nicht auf dem kalten Steinboden sitzen. Suchen wir ein Feuer und vielleicht ein wenig Bier. Und dann habe ich dir einen Vorschlag zu machen.«
Er streckte die Hand aus, um mir auf die Beine zu helfen, und ich ergriff sie. Seine Hand war trocken und warm, sein Griff sehr fest. Ich hatte keine Ahnung, was er mir sagen wollte, aber alles war besser, als einem kleinen Zimmer voller weinender Mädchen gegenüberzustehen. Ihre Traurigkeit machte meine Scham darüber, was ich getan hatte, nur noch größer.
Die Küche war der einzige Ort, an dem es wirklich warm war, also ließen wir uns dort in einer Ecke nieder. Es war alles andere als abgeschieden, Diener und Dienerinnen gingen ein und aus, Hühner
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