Das Kind der Stürme
hier etwas anderes sein könnte als das, was ich war. Aussehen zählte nicht. Wohin hatte ihr Aussehen meine Mutter gebracht? Man hatte sie an den Höchstbietenden verschachert, und für den Rest ihres kurzen Lebens war sie unglücklich gewesen. Dennoch, in Eamonns Andeutungen und Seitenblicken lag vielleicht die Lösung für mein Problem; sie boten den Aufhänger zu einer Strategie, mit der ich das Ziel meiner Großmutter erreichen konnte. Ich konnte hören, wie sie mir das sagte. Dieser Mann ist mächtig. Und er ist korrumpierbar. Sieh zu, dass du in seiner Nähe bleibst, sorg dafür, dass er dich haben will. Benutze ihn, Fainne.
Aber ich konnte es nicht tun. Die Aussicht allein schon bewirkte, dass mir übel wurde. Es war ein Missbrauch meines Handwerks, und ich wusste, dass ich mich nicht dazu überwinden konnte, so etwas durchzuhalten. Ich zog mir das Nachthemd über den Kopf und stieg ins Bett, obwohl ich sicher war, dass der Spiegel im Licht des kleinen Kaminfeuers immer noch weich schimmerte. Mir fehlte einfach die Willenskraft. Ich schreckte schon körperlich davor zurück. Wie konnte ich so etwas tun, wenn bereits die Worte, die dieser Mann sprach, mich schaudern ließen? Es war einfach falsch. Einen Mann so zu manipulieren, dass er hinter einem herhechelte wie ein Hund hinter einer läufigen Hündin, ihn meinem Willen zu unterwerfen, so dass er alles für mich tun würde – damit würde ich den letzten Hauch von Selbstachtung verlieren. Ich glaubte nicht, Männer je verstehen zu können. Und ganz bestimmt wollte ich mich nicht mit einem hinlegen und all die Dinge tun, von denen Großmutter mir gesagt hatte, dass Männer und Frauen sie zusammen taten. Schon der Gedanke widerte mich an. Es musste eine andere Möglichkeit geben. Hierher zu kommen war ein Fehler gewesen.
Vergisst du da nicht etwas?, sagte die leise innere Stimme. Was ist mit deinem Vater? Nutze diese Gelegenheit, Fainne. Das Bündnis steht schon auf Messers Schneide. Konzentriere dich auf den schwächsten Punkt, denn im Augenblick ist es wirklich leicht zu schaffen. Dieser Mann spricht mit dir. Bring ihn dazu, mehr zu sagen. Und vergiss nicht, im Bett spricht ein Mann seine geheimsten Gedanken aus. Ich steckte mir die Finger in die Ohren, als ob das die Stimme in mir zum Schweigen bringen würde. Ich rollte mich unter der Decke zusammen. Aber hier gab es keine Riona, die mir half, die Stimmen in Schach zu halten. Es gab keine Möglichkeit, diese gnadenlose Botschaft zum Schweigen zu bringen. Ich brauchte nicht in den Spiegel zu schauen, um das Bild meines Vaters vor mir zu sehen, der keuchte und nach Luft schnappte und jeden Hauch von Beherrschung brauchte, um nicht laut vor Schmerz zu schreien, wenn ein Hustenanfall seine Lunge mit eisernem Griff packte und ihm die lebensspendende Luft nahm. Ich spürte die kleine, feste Form des Amuletts warm an meiner Brust. Du musst weitermachen, sagte die Stimme wieder und wieder. Für deinen Vater. Das bist du ihm schuldig. Bis zum Ende, Fainne. Bis zum Ende.
Der Regen begann wieder, und zunächst gab es keine Ausritte. Eamonn brachte mir bei, Brandubh zu spielen, das etwas komplizierter war als Ringsteine. Ich war froh darüber. Der Grad von Konzentration, den es brauchte, den nächsten strategischen Zug des Gegners vorwegzunehmen, bedeutete, dass man nicht zur gleichen Zeit diese schwierigen Konversationen führen konnte. Wir saßen einander gegenüber, mit dem kleinen Tisch und dem Spielbrett zwischen uns, und konnten uns nicht berühren. Die Spielfiguren waren wunderschön geschnitzt, das Spielbrett selbst mit Einlegearbeiten verziert. Wir begannen mit Übungsspielen, und als er sah, dass ich die Regeln verstand, spielten wir im Ernst. Unser drittes richtiges Spiel zog sich bis tief in die Nacht hinein. Der Rest des Haushalts lag schon im Bett, und wir saßen vor dem Feuer. Eamonn trank stetig, wie es seine Gewohnheit war. Ich nippte am Wein, aber so selten wie möglich. Ich brauchte für das Spiel vor uns einen klaren Kopf, ebenso wie für das subtilere Spiel, das in Blicken und Gesten weiter seinen Gang nahm. Bevor der Morgen dämmerte, hatten die schwarzen Spielsteine die weißen überrundet und ich hatte gesiegt. Eamonn war ziemlich verblüfft.
»Nun«, stellte er mit leichtem Stirnrunzeln fest, »ich sehe, ich werde auf dich aufpassen müssen, Fainne.«
Ich gähnte und konnte nicht widerstehen zu sagen: »Ihr habt ja bereits erwähnt, dass Ihr ein guter Lehrer seid.«
»Und du sagtest,
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