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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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die sie dazu gebracht hat, zu tun, was sie getan hat. Eher eine Art kranke Lust, die sie angetrieben hat zu vergessen, wer sie ist und was sie versprochen hatte.«
    »Es ist lange her«, wandte ich ein, »und Ihr wirkt immer noch so zornig.«
    In diesem Augenblick schien er sich daran zu erinnern, wer er war und mit wem er sprach. Ich sah, wie er tief Luft holte und sich dazu zwang, sich ein wenig zu entspannen.
    »Es tut mir Leid, Fainne. Ich kann kaum glauben, dass ich so mit dir gesprochen habe. Ich habe mich gehen lassen, und ich kann dich nur um Verzeihung bitten. Du bist zu jung, als dass ich dich mit solchen Narreteien belasten könnte.«
    Er hatte es wirklich mit den Regeln und der Angemessenheit, das hatte auch Muirrin gesagt. Es musste ihn quälen zu erkennen, dass er sich ausgerechnet gegenüber einem Mädchen, das er kaum kannte, so hatte gehen lassen. Ich formulierte meine Antwort sorgfältig. »Ich bin nicht so aufgewachsen wie andere Mädchen. Bitte lasst Euch davon nicht beunruhigen.«
    »Du sprichst aus deiner Unschuld«, erwiderte er stirnrunzelnd. »Es war einfach nicht richtig von mir; es war undiszipliniert und unangemessen.«
    »Das denke ich nicht«, sagte ich leise. »Denn es kommt mir so vor, als sei dies eine Last, die lange nicht mit jemandem geteilt wurde. Wollt Ihr sie denn mit ins Grab nehmen?«
    »Fainne! Jetzt schockierst du mich. Ich mag nach deinen Maßstäben ein alter Mann sein, aber ich habe noch nicht vor zu sterben.«
    »Dennoch«, sagte ich, »in diesem Sommer werdet Ihr in den Kampf ziehen. Ein höchst gefährliches Unternehmen. Es kommt mir so vor, als kümmerte Euch die Zukunft Eurer Ländereien oder Eures Namens wenig. Vielleicht fürchtet Ihr den Tod nicht. Dennoch ist es das Beste, den Geist von solchem Hass zu befreien. Die Göttin wählt die Zeiten, in denen sie uns ruft, und nicht Ihr seid es, der entscheidet, wann Ihr diesen Übergang vollzieht.«
    »Du bist ein seltsames Mädchen, Fainne«, sagte Eamonn, nahm meine Hand in seine und zog sie an die Lippen. »Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll.«
    »Und ich weiß nicht, was ich von Euch halten soll«, sagte ich und zog die Hand zurück. »Ich weiß nicht, was Ihr von mir wollt.«
    »Im Augenblick«, erklärte er ernst, »ist es Zeit, dass du dich zurückziehst. Nimm eine Kerze von dem Regal dort an der Tür mit.«
    »Ich –«
    »Du solltest lieber gehen, Fainne. Ich bin heute Abend keine gute Gesellschaft.«
    Also ließ ich ihn dort am Feuer sitzen, mit der Weinflasche zur Gesellschaft, und ich fragte mich, wie viele Becher er wohl noch würde leeren müssen, bevor er für kurze Zeit Vergessen finden konnte.
    In meinem Zimmer stellte ich mich vor den Spiegel. Es war ein schöner Spiegel; die polierte Bronze spiegelte das Licht der Kerzenflammen und schimmerte mit goldener Wärme. Um den Rand war das Metall mit einem komplizierten Muster versehen, eine einfache Kette und hier und da ein emailliertes Oval, Scharlachrot, Sonnengelb, Tiefblau wie der bodenlose Ozean. Es war der Spiegel eines reichen Mannes. Mein Spiegelbild starrte zu mir zurück, die Gestalt ein wenig weicher gezeichnet durch die rosige Färbung des Metalls – ein Herbstmädchen. Ich sah mich an und hörte Eamonns Worte. Ich bin ein guter Lehrer, hatte er gesagt, und wenn ich darüber nachdachte, bestand kein Zweifel, welche Künste er glaubte, mir beibringen zu können. Die Person im Spiegel war nicht die Art Mädchen, die einen Mann mit Verlangen erfüllen konnte. Ihr Haar lockte sich zu stark, und es hatte die Farbe von Flammen. Ihre Augen waren vom intensiven Tiefrot der reifsten Beeren. Ihre Lippen waren schmal und streng. Es war der Mund einer Einsiedlerin, vielleicht geeignet, die Überlieferung zu rezitieren oder in Abgeschiedenheit zu beten, aber nicht Lippen zum Küssen, zum Flüstern süßer Worte oder zum Singen von Liebesliedern. Die Haut war hell, die Wangen nicht rosig. Aber mein Körper hatte sich verändert, ohne dass ich es so recht bemerkt hatte. Ich hatte ein paar Rundungen entwickelt, so dass das ungelenke, schlaksige Mädchen nun an allen richtigen Stellen besser geformt war. Immer noch war mein Fuß verkrüppelt. Für diese Erbschaft einer verbotenen Verbindung gab es keine Heilung, dachte ich. Aber dennoch, ich sah … nicht unangenehm aus. Ich lächelte mich im Spiegel an, und das kleine Amulett, das um meinen Hals hing, fing glitzernd das Kerzenlicht ein. Das Lächeln verging mir. Es war dumm zu glauben, dass ich

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