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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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gewusst. Ich hatte dieses Bild schon früher gesehen. Und es gehörten auch Worte dazu: Du wirst nicht wissen, wie viel du zu verlieren hast, bis es bereits verloren ist. Und dann wurde es plötzlich finster, als wäre die ganze Welt aus den Angeln gerissen und zur Nacht geworden, nur durch die Kraft dieses Schmerzes. Menschen schrien vor Angst auf. Und eine große Welle, eine Mauer aus Wasser, raste aus dem Nichts herein, ein Schwall so hoch, dass man nur noch aufblicken und den Tod erkennen konnte, während man schon den letzten schaudernden Atemzug tat. Ich werde euch wegfegen … wegfegen … ich werde alles nehmen … nehmen …
    Beim Abendessen fiel mir auf, dass Eamonn sich umgezogen hatte und dass sein Haar ebenso wie mein eigenes sorgfältig gekämmt war. Ich sah seine ernsten dunkelbraunen Augen, die kantigen Züge, sah, wie eine Locke ihm immer wieder in die Stirn fiel. Ich dachte, dass er einmal, vor langer Zeit, ein gut aussehender junger Mann gewesen sein musste, einer, den ein Mädchen sicher für einen sehr passenden Ehemann gehalten hätte. Wenn man dazu noch seinen Wohlstand und seine Machtstellung in Betracht zog, konnte man sich kaum vorstellen, dass Tante Liadan ihn wegen eines anderen abgewiesen hatte, besonders wegen eines so unangenehmen Menschen, wie ihr seltsamer Mann es angeblich war. Ich konnte das nicht verstehen. Ich überlegte, was für eine Frau sie sein musste, einen treuen Bewerber so grausam zu behandeln, dass sein ganzes Leben beinahe davon zerstört worden war. Dann sagte ich mir abermals, dass ich nicht vergessen durfte, dass Männer und Frauen nur Spielfiguren waren, die ich zu meinem Vorteil hin und her schieben konnte. Es war unangemessen, Mitleid mit diesem ernsten, bleichen Mann in mittleren Jahren zu empfinden, der mir am Tisch gegenübersaß, wenig aß und stetig trank. Es war nicht angemessen, dass ich überhaupt irgendetwas empfand. Braves Mädchen, sagte Großmutters Stimme in meinem Kopf.
    Wir beendeten unsere Mahlzeit. Die Teller wurden weggeräumt, der Wein serviert. Eamonn sagte dem Diener, dass wir auf keinen Fall gestört werden wollten, was immer auch geschah. Am Feuer standen zwei geschnitzte Sessel mit einem kleinen Tisch daneben. Die Schachtel mit den Brandubh-Spielsteinen und das kunstvoll gemusterte Spielbrett lagen bereit.
    »Willst du spielen?«, fragte Eamonn, als er sich mir gegenübersetzte. Nicht dieses Spiel, dachte ich.
    »Heute Abend lieber nicht. Ich denke, ich würde mich nicht besonders gut konzentrieren können. Werden Eure Leute nicht das Falsche denken, wenn die Tür geschlossen ist und Ihr ihnen befehlt, dass sie sich fern halten sollen? Was immer ich an gutem Ruf habe, wäre dann für immer ruiniert.«
    Eamonn sah mich ruhig an. »Wie du siehst, habe ich die Tür nicht verriegelt, und ich werde es auch nicht tun. Ich bedrohe dich nicht, Fainne. Ich bin kein Verführer, was immer du von mir denken magst.«
    »Meine Erinnerung daran, wie Ihr Euch vorgestern verhalten habt, bestätigt das nicht unbedingt.«
    »Ich habe mich dafür entschuldigt, und ich tue es nun wieder. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.«
    Ich zog die Brauen hoch. »Das könnte ich vermutlich erraten.«
    »Du hast es mir nicht besonders leicht gemacht. Heute Früh – ich verstehe einfach nicht, was du von mir willst.« Er goss mir Wein in den Kelch und füllte seinen eigenen nach. Der Wein war sehr stark und hatte einen milden Geschmack, der an sonnenüberflutete Hügel und Wiesenblüten denken ließ. Ich trank nur sehr wenig, denn ich wusste, dass ich einen klaren Kopf behalten musste.
    »Eins nach dem anderen«, sagte ich. »Könnt Ihr meine Frage beantworten? Denn ich denke, wenn wir uns beide in irgendeiner Weise weiterbewegen wollen, müssen wir erst mit der Vergangenheit fertig werden. Und ich kann Euch dabei helfen. Glaubt mir.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, wie du das tun könntest, Fainne.« Eamonn starrte in seinen Weinkelch, als könnte er darin die Lösung für ein Rätsel finden. »Bei allem guten Willen der Welt dürfen wir doch nicht vergessen, dass du sehr jung und unerfahren bist. Du könntest kaum verstehen, was zwischen mir und …«
    »Und Liadan?«
    »… ihr und anderen vorgefallen ist. Das hast du selbst gesagt. Dass du weit entfernt von den Hallen der Männer aufgezogen worden bist. Du könntest nicht begreifen, welch schreckliche Dinge geschehen sind. Du bist unschuldig. Wie könntest du mir helfen?«
    »Ich verstehe.« Ich

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