Das Kind der Stürme
stand auf. »Dann hat das hier alles keinen Sinn, nicht wahr? Ich könnte auch gleich nach Sevenwaters zurückkehren. Die Mädchen haben mich schon gefragt, wann wir nach Hause gehen. Ich werde ihnen sagen, dass wir morgen aufbrechen.«
»Nein.« Eamonn war aufgesprungen, und ich spürte, wie er mich am Arm packte. »Nein. So habe ich das nicht gemeint. Bitte setz dich wieder, Fainne.«
»Schwierig, nicht wahr?«, fragte ich leise, nachdem ich mich wieder hingesetzt und er seine Hand von meinem Arm genommen hatte und zu seinem Platz zurückgekehrt war. »Ihr versteht nicht, was ich will, und ich habe keine Ahnung, was Ihr wollt. Ich bin nicht sicher, ob Ihr es selbst wisst. Warum fangt Ihr nicht damit an, die Frage zu beantworten, die ich Euch gestellt habe?«
Eamonn antwortete nicht. Seine Kinnmuskeln waren angespannt, als hätte er die Zähne zusammengebissen, um nicht sprechen zu müssen.
»Ihr tut meine Frage als unwichtig ab?«, wollte ich wissen. »Ihr haltet sie für – wie lautet dieses Wort, das Ihr so gern verwendet? – unangemessen?«
Er verzog den Mund zu einem vollkommen freudlosen Lächeln. »Sie war durchaus angemessen. Ich nehme an, du könntest sie dir auch selbst beantworten.«
»Mag sein. Aber ich möchte es von Euch hören.«
Wieder Stille.
»Ich habe nie über diese Dinge gesprochen«, sagte er nach einer Weile leise, beinahe entschuldigend. »Nicht in all diesen Jahren. Warum sollte ich es also jetzt tun? Außerdem bin ich an ein Versprechen gebunden. Ich kann die volle Wahrheit nicht verraten und werde es auch nicht tun.«
Ich schwieg und wartete.
»Was du gesagt hast … eine Einzelheit, die du erwähnt hast, ist mir den ganzen Tag durch den Kopf gegangen. Dass er mich tatsächlich besiegen würde, wenn ich jetzt nicht handle, um mein Leben zu ändern. Wenn ich tatsächlich einen Feind benennen sollte, dann ist er es. Der Bemalte Mann. Er hat meine Männer getötet, er hat mir die Frau gestohlen, er hat mich meiner Seele beraubt. Er hat mir meine Zukunft genommen. Ich kann mir kein anderes Leben vorstellen, ehe ich nicht meine Hände um den Hals dieses Mannes gelegt und ihm den letzten Hauch aus der Kehle gewürgt habe. Ich will sehen, wie er leidet und stirbt. War es das, was du hören wolltest?«
Meine Stimme war nicht vollkommen fest, aber ich beherrschte mich. »Macht es Euch nichts aus, dass die Frau, die Ihr einmal geliebt habt, dadurch ihren Mann verlieren und einer Zukunft der Trauer und Einsamkeit entgegensehen würde? Denn Ihr liebt sie immer noch, das könnt Ihr nicht abstreiten.«
»Liebe? Schon wieder verwendest du dieses Wort. Es ist bedeutungslos, Fainne. Du wirst das schon noch begreifen. Liadan hat mich zu einem Leben der Leere verdammt. Hat sie denn Besseres verdient? Außerdem wimmelt es auf Inis Eala von Männern, und jeder von ihnen ist ein ebensolcher Missetäter wie der Bemalte Mann selbst. Sie könnte sich einen anderen suchen. Ihr Bett wird nicht lange kalt bleiben, wenn er tot ist.«
»Das ist ein wenig harsch.«
»Findest du? Nach allem, was sie getan hat?«
»Habt Ihr nicht auch nur die geringste Hoffnung, irgendwo unter all dem Rachedurst, dass Liadan es sich, sobald dieser Mann tot ist, anders überlegen und zu Euch zurückkehren wird?« Ich beobachtete ihn angestrengt und passte meine Worte seiner Stimmung an. »Habt Ihr deshalb nicht geheiratet? Habt Ihr nicht einmal gesagt, dass Ihr dieses Haus für sie in diesem Zustand erhaltet?«
»Ha!« Das war ein verächtliches Schnauben. »So dumm bin ich auch wieder nicht, und es fehlt mir nicht vollkommen an Stolz. Sie hat sich selbst erniedrigt, indem sie zugelassen hat, dass dieser Mann sie nahm. Sie ist keine angemessene Gefährtin mehr für einen Mann wie mich. Und das war ihre eigene Entscheidung. Ich würde ihr keine weitere Chance geben, nicht einmal, wenn sie mich darum anflehen würde.«
»Außerdem ist sie inzwischen nicht mehr jung genug, um Euch Söhne zu gebären.«
Eamonn sah mich an, und ich zwang mich, seinen Blick zu erwidern.
»Also«, sagte ich, »müsst Ihr diesen Bemalten Mann töten. Dann könnt Ihr vergessen und Euer Leben zurückerobern. Wenn das alles ist, warum habt Ihr nicht schon vor langen Jahren die Initiative ergriffen? Warum habt Ihr so viel Zeit verschwendet? Ihr habt doch sicher die Möglichkeiten? Nach allem, was ich höre, ist dieser Mann eine Art Ausgestoßener, der von allen respektablen Leuten verachtet wird, obwohl er auf der anderen Seite des Meers einen
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