Das Kind der Stürme
gleichen Zeit werft Ihr die Gelegenheit weg, Euren alten Feind zu vernichten und die Ungerechtigkeit in der Vergangenheit auszulöschen. Um eins von diesen beiden Dingen haben zu können, müsst Ihr beides nehmen.«
»Du sprichst wie ein Druide. Ich verstehe dich nicht.« Aber seine Neugier war, wenn auch vollkommen gegen seinen Willen, erneut erwacht. Ich hatte meine Worte sehr sorgfältig gewählt.
»Um Euren größten Feind zu besiegen, braucht Ihr Informationen von innen. Ihr müsst wissen, worin seine Schwächen bestehen, Ihr müsst wissen, wo er sich aufhält und zu welchen Zeiten er vielleicht allein und ungeschützt und verwundbar sein wird. Im nächsten Sommer werdet Ihr Seite an Seite mit ihm kämpfen. Dann werden sich Gelegenheiten für Euch ergeben.«
»Aber –«
»Ja, es gibt ein Problem. Auf der einen Seite einen Landsitz im weit entfernten Northumbria, im Feindesland und wohl bewacht. Ihr könntet kaum wagen, dort anzugreifen. Auf der anderen Seite eine Inselfestung, abgelegen und geheim, mit einem Schutznetz, das so undurchdringlich ist, dass es einem beinahe anderweltlich vorkommt. Hin und wieder hält sich dieser Mann dort auf. Aber wie kann man solche Mauern durchdringen? Nicht, indem man einen Krieger schickt, der in der Kunst des Spionierens ausgebildet wurde. Dieser Mann wird immer andere, bessere Leute haben als Ihr selbst. Nein, Ihr braucht etwas anderes. Ihr braucht einen Spion, der diese Orte unerkannt aufsuchen kann, der sich der Umgebung so gut anpasst, als wäre er überhaupt nicht dort. Einen Spion, der unsichtbar die geheimsten Beratungen belauschen kann. Einen, der selbst herausfinden kann, was in der Vertraulichkeit des Schlafzimmers gesagt wurde, wenn Ihr das wissen wollt. Und das alles kann ich Euch bieten.«
Nun starrte er mich ebenso schockiert wie erstaunt an. Seine Wangen hatten sich gerötet; vielleicht war es der Wein, aber ich glaubte auch etwas wie neue Aufregung dort zu erkennen.
»Mein Vater hat mir ein paar Tricks beigebracht, die ein wenig – ungewöhnlich sind«, sagte ich leise. »Ich werde es Euch demonstrieren. Ruft Euren Diener herein, und bittet ihn, etwas zu essen oder neues Holz fürs Feuer zu bringen.«
Ohne weitere Frage tat Eamonn, was ich ihm gesagt hatte. Der Mann kam herein und stand vor uns, ein untersetzter jüngerer Bursche mit einem etwas verbissenen Gesichtsausdruck und kleinen Äuglein. Mein Herz klopfte laut, als ich meine Macht heraufbeschwor, denn vor meinem geistigen Auge sah ich das Bild dieser Frau, wie sie ihr Messer benutzte, um einen Fisch aufzuschneiden, der ihre eigene Tochter war. Diesmal durfte ich keinen Fehler machen. Während Eamonn seinem Diener Anweisungen gab, flüsterte ich einen Bannspruch und widerstand der Versuchung, auch Eamonn selbst in eine andere Gestalt zu verwandeln, wo ich schon gerade dabei war – vielleicht in einen Geißbock. Und während ich sprach, begann die Gestalt des Mannes sich zu verändern, seine Nase wurde länger, seine Haut wurde haariger, er wurde vor Eamonns gebanntem, entsetztem Blick kleiner, und schließlich stand ein schöner schwarzer Hund vor uns, der ein wenig hechelte, die Ohren spitzte und hoffnungsvoll mit dem Schwanz wedelte.
»Braver Hund«, sagte ich. »Sitz.«
Eamonn stellte sehr vorsichtig seinen Weinkelch auf dem Tisch ab.
»Kann ich glauben, was ich da sehe?«, flüsterte er. »Ist es nicht nur eine Täuschung, die verschwinden wird, sobald wir uns bewegen? Wie hast du das gemacht?«
»Er ist echt«, sagte ich. »Ihr könnt ihn ruhig berühren. Aber danach sollte ich ihn lieber zurückverwandeln, und wir schicken ihn wieder weg.«
Vorsichtig streckte Eamonn die Hand aus, und der Hund leckte ihm die Finger.
»Die Dagda stehen mir bei!«, flüsterte Eamonn. »Was ist das? Schwarze Magie?«
Ich berührte den Kopf des Hundes und murmelte etwas, und sofort stand der Diener wieder vor uns und blinzelte verwirrt. Ich war ungemein erleichtert. Es hatte funktioniert; diesmal war alles gut gegangen!
»Bringt uns mehr Wein«, sagte ich dem Mann, »und ein wenig Weizenbrot, wenn es frisches gibt. Lord Eamonn hat Hunger.« Als der Mann weg war, sagte ich: »Ich bin keine böse Hexe. Mein Vater ist ein Zauberer. Er hat mich unterrichtet. Aber wir sind keine Nekromanten. Wir setzen unsere Fähigkeiten mit Weisheit und Vorsicht ein. Habt Ihr jetzt eine gewisse Vorstellung davon, was ich tun könnte, um ein Ziel zu erreichen, das für Euch bisher unerreichbar war?«
»Ich denke, du
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