Das Kind der Stürme
kleinen, glänzenden Augen anzustarren, als machte er eine Bestandsaufnahme und fände mich alles andere als beeindruckend. Dann war er ganz plötzlich wieder verschwunden. Vielleicht überbrachte er Botschaften. Vater sprach nie darüber. Ich mochte Fiachas scharfen Schnabel ebenso wenig wie dieses gefährliche Glitzern in seinen Augen. Er hatte mich einmal gepickt, als ich klein gewesen war, und es hatte sehr wehgetan. Vater sagte, es wäre ein Unfall gewesen, aber ich war davon nicht so überzeugt wie er.
Ich ließ das Essen vor der Tür stehen. Es gab ein unausgesprochenes Gesetz: Wenn die Tür verschlossen war, versuchte man nicht hereinzukommen. Bestimmten Elementen des Handwerks musste man sich in vollkommener Abgeschiedenheit widmen, und Vater war stets bestrebt, sein Wissen zu vertiefen und zu vergrößern. Es ist leicht für einen Außenseiter, einen falschen Eindruck von uns zu erhalten, eine Gefahr in dem zu sehen, was wir tun, nur weil er uns nicht versteht. Man heißt uns nicht immer willkommen, nicht in allen Teilen von Erin, weil die Geschichten, die über uns im Umlauf sind, halb der Wahrheit entsprechen und halb eine Ansammlung der eigenen Ängste und Befürchtungen jener sind, die sie erzählen. Es war kein Zufall, dass Vater sich in diese abgelegene Ecke von Kerry zurückgezogen hatte. Hier waren die Menschen schlichte Seelen, deren Leben vom Meer und den Jahreszeiten bestimmt wurde und in deren Welt es keinen Platz für den Luxus von Klatsch und Vorurteil gab. Sie hatten ihn und meine Mutter einfach als zwei weitere Bewohner der Bucht akzeptiert, stille, höfliche Menschen, die man am besten in Ruhe ließ. Und alle wussten, dass eine Siedlung mit einem eigenen Zauberer ein sehr sicherer Ort war. Vater hatte das schon kurz nach seiner Ankunft in Kerry demonstriert, als im Sommer die Nordmänner gekommen waren. Überall an der Küste erzählte man von ihren Überfällen, den brutalen Morden, den Vergewaltigungen, den Brandstiftungen, von Frauen und Kindern, die entführt worden waren, und es gab Geschichten von Orten, an denen sie einfach eingezogen waren, wo sie Hütten und Bauernhöfe übernommen hatten, als hätten sie das Recht dazu. Aber in unserer Bucht gab es keine Wikinger. Dafür hatte Ciarán gesorgt. Die Leute erzählten immer noch von dem Tag, als die Langschiffe mit ihrem geschnitzten Bug in Sicht gekommen waren, so schnell, dass keine Zeit mehr geblieben war, zu fliehen oder sich zu verstecken. Das Sonnenlicht hatte die Äxte und die seltsamen Helme der Männer zum Glitzern gebracht; sie hatten die Ruder wieder und wieder eingetaucht, während die Fischer vor Entsetzen erstarrt dagestanden und zugesehen hatten, wie ihr Tod näher rückte. Dann war der Zauberer auf ein hohes Sims der Honigwabe herausgekommen, mit seinem Eibenstab in der Hand, hatte ihn gehoben, und einen Augenblick später waren graue Wolken schnell von Westen herangezogen und das Meer hatte sich erhoben, bis Brecher mit weißen Kappen an den Strand schlugen. Die ordentlichen Ruderreihen waren durcheinander geraten, dann waren die Langschiffe gekentert. Innerhalb von Augenblicken war der Himmel schwarz gewesen, das Meer hatte gekocht, und die Menschen am Strand sahen mit großen Augen zu, wie die Schiffe der Nordmänner zerbrochen und untergegangen waren, eines nach dem anderen. Später hatten Kinder seltsame Dinge am Strand gefunden. Einen Armreif mit einem komplizierten Muster aus ineinander verschlungenen Schlangen und Hunden. Einen Anhänger in Form einer winzigen, tödlichen Axt an einem gedrehten Draht. Eine Bronzeschale. Der Schaft eines Ruders, wunderbar gearbeitet. Die Leiche eines Mannes mit heller Haut und langem, geflochtenem Haar in der Farbe von Weizen zu Lugnasad. Also gab es keine Wikingersiedlung in unserer Bucht. Danach hatten die Fischer Vater verehrt und geschützt, und nichts, was er tat, konnte in ihren Augen noch falsch sein. Als meine Mutter starb, trauerten sie mit ihm. Und dennoch machten sie einen weiten Bogen um ihn.
Den ganzen Tag blieb Vater in seinem verschlossenen Arbeitszimmer. Als er endlich auftauchte, um sich den Teller zu holen und zerstreut zu essen, ohne auch nur zu merken, dass es kalt geworden war, sah er bleich und müde aus. Er saß an den Resten meines kleinen Kochfeuers, stocherte im Fisch herum und hatte nichts zu sagen. Fiacha war ihm gefolgt und hockte nun auf einem Sims und starrte auf mich hinab. Ich starrte wütend zurück.
»Geh lieber ins Bett, Tochter«, sagte
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