Das Kind der Stürme
»Ciarán ist weg. Du wirst ihn nicht wieder sehen, bis wir hier fertig sind – nicht bevor der nächste Sommer zu Ende ist. Es ist nicht möglich, dass er bleibt – nicht, solange ich hier bin. Wir können uns nicht am gleichen Ort aufhalten. Du und ich, wir haben viel zu tun, Fainne.«
Ich stand da wie erstarrt und spürte ihre Worte wie eine Wunde im Herzen. Wie hatte Vater das tun können? Wo war er hingegangen? Wie konnte er mich mit dieser schrecklichen alten Frau allein lassen?
Sie stand jetzt vor dem Bronzespiegel und schien sich zu bewundern, denn sie nahm einen Kamm aus einer Tasche ihrer weiten, aus vielen Lagen bestehenden Altfrauenkleider und zog ihn durch ihr wirres Haar. Unwillkürlich kam ich näher.
»Hat Ciarán dir nicht von mir erzählt, Kind? Hat er denn gar nichts erklärt?« Sie starrte ihr Abbild intensiv an. Ich trat hinter sie, musste einfach über ihre Schulter in die polierte Oberfläche schauen.
Die Frau im Spiegel starrte zurück. Sie war vielleicht sechzehn Jahre alt, keinesfalls älter. Ihr Haar war eine glänzendere, hübschere Version meines Haars, fiel ihr in schweren Locken auf die Schultern und schien eine Art Eigenleben zu haben. Ihre Haut war milchweiß, so hell, dass man das bläuliche Netzwerk von Adern unter der perlmuttähnlichen Oberfläche sehen konnte. Sie war schlank, aber wohlgeformt. Es war die Figur, die ich versucht hatte, für mich selbst zu schaffen, an dem Tag, als Vater mich mit ins Lager des fahrenden Volkes genommen hatte. Ich hatte mich für sehr fähig gehalten, aber neben ihr verblassten meine Anstrengungen. Diese Frau war eine Meisterin unseres Handwerks. Ich schaute ihr in die Augen. Sie waren dunkel, von der Farbe reifer Maulbeeren. Es waren die Augen meines Vaters. Es waren meine eigenen Augen. Die alte Frau lächelte aus dem Spiegel zurück. Ihre Lippen waren rot und geschwungen, ihre Zähne klein, scharf und weiß.
»Wie du siehst«, erklärte sie mit einem humorlosen Kichern, »kann ich dir noch viel beibringen. Und wir sollten am besten sofort anfangen. Es ist eine ziemliche Herausforderung, aus dir eine feine Dame zu machen.«
***
Solange ich mich erinnern konnte, waren wir hier zu zweit gewesen, mein Vater und ich, und hatten zusammen oder getrennt voneinander gearbeitet und den Tag unserem Handwerk gewidmet. Die Mahlzeiten, der Schlaf, die Kontakte mit der Außenwelt waren auf das Notwendigste beschränkt gewesen: Wasser holen, Treibholz für das Feuer sammeln. Fisch wurde von einem Mädchen zur Tür gebracht. Botschaften wurden Dan Walker übergeben. Ich hatte die Sommer mit Darragh gehabt, aber nun war Darragh weg und ich war erwachsen. Diese Zeiten waren vorbei. Mein Vater und ich, wir verstanden einander ohne viele Worte. Manchmal erklärte er eine Technik oder die Theorie, die dahinter stand. Manchmal stellte ich eine Frage. Meist ließ er es mich selbst herausfinden, mit ein wenig Anleitung hier und da. Er ließ mich meine eigenen Fehler machen und daraus lernen. So, sagte er, würde ich verantwortungsbewusster werden und das, was ich am meisten brauchte, besser behalten können. Tatsächlich würde diese Art von Disziplin mit der Zeit nicht nur zu Wissen, sondern zu Verständnis führen. Es war eine ordentliche, gut strukturierte Existenz, wenn sie auch etwas außerhalb der Lebensmuster der einfachen Leute stand.
Großmutter hatte eine andere Lehrmethode. Sie begann, indem sie mir sagte, dass Vater meine Erziehung kläglich vernachlässigt hätte; er hätte mir zumindest beibringen können, wie man zivilisiert aß und nicht mit den Fingern schaufelte wie ein Hausiererkind. Als ich versuchte, Vater zu verteidigen, brachte sie mich mit einem widerlichen kleinen Bann zum Schweigen, der meine Zunge schwellen und so pelzig werden ließ wie Weidenkätzchen. Kein Wunder, sagte sie, dass sie nicht am gleichen Ort leben konnte wie ihr Sohn.
Eine unserer grundlegendsten Regeln war gewesen, dass das Handwerk nie vom Lehrer gegen den Schüler oder vom Schüler gegen den Lehrer eingesetzt wird. Vater wäre schon über den Gedanken entsetzt gewesen, Magie als Strafe zu benutzen. Großmutter hatte hingegen keinerlei Bedenken. Ich hasste es, wie sie über ihn, ihren eigenen Sohn, sprach.
»Nun«, stellte sie fest, während sie zusah, wie ich meinen Fisch aß – ihre Blicke folgten jedem Stückchen auf seinem Weg vom Teller zu meinen Lippen, – »er hat dir Gestaltwandeln beigebracht, Manipulation und ein paar kleine Tricks. Was wird dir
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