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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Bande Kinder bekommen. Jemand muss sich um dich kümmern.«
    »Unsinn«, schnaubte ich. »Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
    »Jemand muss auf dich aufpassen«, beharrte er. »Vielleicht erkennst du es nicht, vielleicht erkennt dein Vater es auch nicht, aber du bist eine Gefahr für dich selbst.«
    »Unsinn«, sagte ich, bitter beleidigt, dass er mich für so unfähig hielt. »Und wen sollte ich hier in der Bucht schon heiraten? Einen Fischer? Einen Hausierer? Wohl kaum.«
    »Da hast du selbstverständlich Recht«, sagte Darragh. »Das wäre ganz und gar unangemessen. Das verstehe ich.« Dann stand er auf und schwang sich den Dudelsack geschickt auf die Schultern. Er war im vergangenen Jahr ziemlich gewachsen und hatte nun den Hauch eines dunklen Barts am Kinn. Er trug inzwischen auch einen kleinen Goldring in einem Ohr, genau wie sein Vater.
    »Ich sollte mich lieber auf den Weg machen.« Er sah mich an, ohne zu lächeln. »Ich würde dich am liebsten in die Tasche stecken und dich mitnehmen, wenn du ein bisschen kleiner wärst. Damit dir nichts passiert.«
    »Ich hätte sowieso viel zu viel zu tun«, sagte ich, als der Abschiedsschmerz mich wieder überwältigte. Es war in all den Jahren nicht einfacher geworden, und da ich nun wusste, dass ich im nächsten Herbst selbst von hier weggehen würde, war es noch schlimmer. »Ich habe zu tun. Meine Arbeit ist nicht einfach, Darragh.«
    »Mhm.« Er schien mir nicht zuzuhören, er sah mich nur an. Dann streckte er die Hand aus, um mich am Haar zu ziehen, nicht zu fest, und er sagte, was er immer sagte: »Mach's gut, Löckchen. Wir sehen uns im nächsten Sommer. Pass gut auf dich auf, bis ich wieder da bin.«
    Ich nickte. Ich hätte kein Wort herausbringen können. Obwohl ich in der letzten Zeit so viel gelernt hatte, obwohl ich fast eine Meisterin meines Handwerks war, kam es mir plötzlich so vor, als hätte ich den ganzen Sommer vollkommen verschwendet, als hätte ich etwas Kostbares, Unersetzliches vergeudet. Ich sah meinem Freund nach, als er durch den Steinkreis ging und der Wind an seinen abgetragenen Sachen zupfte und sein dunkles Haar wehen ließ, und als er die andere Seite der Hügelkuppe erreicht hatte, verschwand er. Und es war kalt, so kalt, dass ich es bis ins Mark spürte, eine Kälte, die kein warmes Feuer und kein Schaffellmantel in Schach halten konnten. Ich ging nach Hause, und immer noch war die Sonne kaum aufgegangen, hing immer noch dunkelrot hinter sturmzerzausten Wolken. Als ich zurück in die Honigwabe kam, zündete ich eine Laterne an, die mir die dunkeln Gänge beleuchten sollte, und zwang meinen Atem in ein Muster. Ein langer, tiefer Atemzug, bis in den Bauch. Ausatmen in Stufen, wie die Kaskaden eines großen Wasserfalls. Beherrschung, das war alles, um was es ging. Man musste sich beherrschen. Wenn man die Kontrolle verlor, war alle Übung des Handwerks sinnlos. Ich war die Tochter eines Zauberers. Die Tochter eines Zauberers hatte keine Freunde und keine Gefühle, sie konnte sie sich nicht leisten. Man musste sich nur meinen Vater ansehen. Er hatte versucht, ein anderes Leben zu führen, und das hatte ihm nur Schmerz und Verbitterung gebracht. Es war viel weiser, sich auf das Handwerk zu konzentrieren und alles andere beiseite zu schieben.
    Als ich wieder in meinem Zimmer war, zwang ich mich, mir vorzustellen, wie das fahrende Volk seine Wagen belud, die Pferde anschirrte und sich auf den Weg nach Norden machte, mit den Hunden, die neben den Wagen herrannten, und den Jungen mit ihren Ponys ganz hinten. Ich zwang mich, an Darragh auf seinem weißen Pony zu denken, und ich zwang mich, seine Worte noch einmal zu hören. Es gefällt mir nicht, wenn du das tust … du hast dafür gesorgt, dass dich keiner übersehen kann … du bist eine Gefahr für dich selbst  … Wenn er mich so sah, dann war es sicher viel besser, wenn unsere Wege sich trennten. Jahr um Jahr, Jahreszeit um Jahreszeit hatte ich auf ihn gewartet und meine Hoffnungen und mein Glück an seine Rückkehr geknüpft. Manchmal war es mir so vorgekommen, als wäre ich nicht richtig am Leben, solange er nicht da war. Nun kam meine Großmutter her, um mich zu unterrichten, und dann würde ich weggeschickt werden; alles veränderte sich. Es wäre besser, nicht mehr an Darragh zu denken und einfach weiterzumachen. Es wäre besser zu lernen, ohne ihn zurechtzukommen. Und was verstand ein Junge vom fahrenden Volk schon von Zauberei und Gestaltwandeln und der Disziplin des Geistes? Es

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