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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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gegangen, bis Darragh den schnellen Rundtanz zu Ende brachte und mit einem Seitenblick in meine Richtung mit einer langsamen Klage begann. Der Tanz war zu Ende, Lachen und Schwatzen verklangen. Die Leute standen Hand in Hand oder saßen still da, ihre Blicke wurden sanfter, und hier und da floss eine Träne, als die Melodie sich anmutig wie eine Schwalbe in den Himmel hob, das kunstvolle, verschlungene Muster ein Filigran aus Licht und Schatten wob. Ein gutes Lied spricht wie eine gute Geschichte zu jedem, der zuhört, und es erzählt jedem etwas anderes. Es bringt das heraus, was tief im Geist vergraben ist, es erweckt, was wir kaum von uns wussten, weil es so tief unter dem Durcheinander des Alltags unter Mänteln von Selbstschutz vergraben war. Darragh spielte wie immer tief aus dem Herzen heraus, und am Ende konnte ich es einfach nicht mehr aushalten. Wenn es so weiter ginge, würde ich weinen oder schreien oder mir das Amulett vom Hals reißen und rufen, dass ich es nicht tun konnte und dass mich niemand dazu zwingen könnte. Aber ich war gut ausgebildet. Ich stand leise auf und ging nach draußen, nicht weit weg. Ich setzte mich auf die Mauer am Küchengarten ins Mondlicht. Drinnen erklang die Klage weiter, ein Lied von Liebe und Trauer, ein Abschiedslied. Es erzählte von dem, was hätte sein können. Ich biss die Zähne zusammen, schlang die Arme um den Oberkörper und erinnerte mich daran, dass ich die Tochter eines Zauberers war und eine Aufgabe zu erledigen hatte. Ich musste vergessen, dass ich eine Frau war und Darragh ein Mann, und mich daran erinnern, dass ich morgen ein Geschöpf der Luft sein und hoch über das Meer fliegen würde. Ich musste mich an meine Großmutter erinnern und an ihre bösen Taten: eine Familie beinahe zerstört, ein Haushalt in Scherben. Finbar, ein hoffnungsvoller junger Mann, verwandelt in eine Art Gespenst. Der Tod der Hoffnung meiner Mutter, der Träume meines Vaters. All das hatte mit ihr begonnen. Ich musste mich daran erinnern, wozu sie mich gezwungen hatte und was sie von mir wollte. Wenn mir das nicht die Kraft geben würde, die ich brauchte, dann waren wir verloren.
    Die Musik ging zu Ende. Das Licht wurde trüber; die Menschen verließen das Langhaus und machten sich auf den Weg ins Bett. Ich hatte vor zu warten, bis Brenna und die anderen schliefen, um dann leise in die Hütte zu schlüpfen. Ich wollte nicht reden. Ich musste heute Nacht stark sein, voller Hoffnung und Selbstvertrauen. Stattdessen fühlte ich mich allein, hilflos und verängstigt. Wie würde ich mich verwandeln können, wenn ich nicht an mich selbst glaubte? Nun, da die Musik vorüber war, musste ich tief atmen, wie Vater mir beigebracht hatte, tief einatmen, bis in den Bauch, ausatmen in drei Stufen, wie die Kaskaden eines Wasserfalls. Und noch einmal. Kontrolle war alles. Ohne Kontrolle war ich meinen Gefühlen ausgeliefert, und Gefühle waren nur ein Hindernis.
    »Fainne?«
    Ich zuckte zusammen. Er stand direkt vor mir, und ich hatte ihn weder gehört noch gesehen.
    »Schleich dich nicht so an! Und du solltest überhaupt nicht mit mir hier allein sein, nicht bei Nacht. Es ist gegen die Regeln.«
    »Welche Regeln?«, sagte Darragh und zog sich neben mich auf die Mauer. »Wir sollten jetzt reden. Morgen Früh wird keine Zeit dazu sein. Ich habe dich traurig gemacht, nicht wahr?«
    »Selbstverständlich nicht.«
    »Du bist rausgegangen. Ich dachte, du würdest mich gern spielen hören.«
    »Also gut, es hat mich traurig gemacht. Darragh, du musst jetzt gehen, oder ich gehe. Im Haus brennt immer noch Licht, und überall sind Leute unterwegs. Man könnte uns sehen.«
    »Wir sind zwei Freunde, die sich unterhalten, das ist alles. Wo ist das Problem?«
    »Du weißt, dass das nicht alles ist. Und jetzt geh bitte. Mach es nicht noch schwieriger, als es ohnehin schon ist.« Meine Stimme zitterte. Es kostete mich meine ganze Kraft, still hier zu sitzen und ihn nicht anzusehen. Darragh schwieg eine Weile. Dann rutschte er von der Mauer und wandte sich mir zu, seine Augen auf gleicher Höhe mit meinen, so dass ich ihm nicht ausweichen konnte.
    »Was meinst du damit, dass das nicht alles ist?« Seine Stimme im Dunkeln war sehr leise. Hinter ihm, durch die halb offene Tür, konnte ich Lampenlicht sehen und hörte die Stimmen von Biddy und Möwe, die sauber machten.
    »Nichts. Vergiss, dass ich es gesagt habe. Bitte.«
    »Wie hast du das gemeint, Löckchen?« Er streckte die Hand aus, legte sie auf meine Wange,

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