Das Kind der Stürme
einfacher. Nur die Macht zählt, sagte sie immer. Ich konnte beinahe hören, wie sie es jetzt sagte, tief in mir: Eine leise Stimme, die lange geschwiegen hatte und nun wieder erwachte. Das solltest du begreifen, Fainne. Ich schlief ein, die Zähne fest zusammengebissen, die Augen zugekniffen, zu einer festen Kugel zusammengerollt. Ich träumte von Feuer.
Darragh hatte Recht gehabt. Am nächsten Morgen hatte niemand mehr Zeit. Ich stand vor dem Morgengrauen auf, und als ich zur Schreiberhütte schlich, konnte ich die Lichter unten in der Bucht sehen und hören, wie die Männer die Stufen in den Klippen hinauf- und hinuntergingen. Segel knatterten, denn es kam bereits eine starke Brise von Norden herein. Im Kerzenlicht fand ich ein Stück Pergament, nahm den Korken aus dem Tintenfass, griff nach einer Feder. Was konnte man schon schreiben? Wie sollte man solche Dinge ausdrücken? Am Ende war es wirklich nur eine kurze Notiz. Ich muss eine Weile weggehen. Es tut mir Leid. Ich unterschrieb und streute Sand darauf, um die Tinte zu trocknen. Ich faltete und versiegelte die Botschaft, schrieb Liadans Namen darauf und legte den Brief so hin, dass der Priester oder der Druide ihn bald finden würde. Dann ging ich zu der Stelle, die ich ausgewählt hatte: ein schmales Sims, nicht weit unterhalb des Rands der Klippe an der Bucht. Ein paar Büsche würden mich bei diesem schlechten Licht ausreichend verbergen und dennoch zulassen, dass ich weiterhin ein wenig von der Flotte sehen konnte, die sich auf das Auslaufen vorbereitete. Vielleicht hätte ich meine Kleidung im Hinblick auf mein Ziel wählen sollen. Vielleicht hätte ich eine Hose und ein Hemd von Cormack stehlen sollen; wie ein Krieger gekleidet zu sein, würde mich vielleicht länger unauffällig sein lassen, wenn ich mich wieder zurückverwandelte. Aber ich hatte mich stattdessen so angezogen, dass es mir Mut geben würde. Ich trug ein schlichtes Kleid mit blauen und grünen Streifen, wie es ein Mädchen vom fahrenden Volk bei besonderen Gelegenheiten wie einem Pferdemarkt anzieht. Darüber hatte ich das schönste Tuch in ganz Erin gebunden, die seidigen Falten voller kleiner Geschöpfe in allen Regenbogenfarben. Mein Haar war offen; die ersten Sonnenstrahlen ließen es wie Feuer glühen. Ich hatte mich so angezogen, um zu zeigen, dass ich meine eigene Herrin und niemandes Dienerin war. Aber immer noch trug ich das Amulett, und nun würde ich diesen geschützten Ort verlassen und mich ins Unbekannte begeben. Wenn ich es abnahm, würde sie kommen, das wusste ich. Sie durfte nicht kommen, noch nicht. Sie musste mich beobachten und glauben können, dass ich bis zum letzten Augenblick loyal war, sie durfte nicht erfahren, welche Macht die Schnur meiner Mutter hatte, nicht begreifen, dass ich endlich verstanden hatte, welche Kraft ich selbst besaß, die Kraft, die sowohl von der Seite meines Vaters als auch von der Seite meiner Mutter kam. War ich nicht ebenso Zauberin wie Tochter von Sevenwaters – eine ausgesprochen wirkungsvolle Mischung? Wie Großmutter schon gesagt hatte, die ganze Sache musste sich entsprechend der Prophezeiung entwickeln, bis zum letzten Augenblick, bis zum allerletzten Augenblick. Dann würde sie begreifen, was für eine schlechte Wahl sie mit dem Instrument ihrer Rache getroffen hatte.
Ich hatte Riona in meinen Gürtel gesteckt. Ich konnte sie nicht zurücklassen. Ich wartete, während die Männer nach unten gingen und in die Boote stiegen; ich wartete, während die Frauen winkten und tapfer Abschied nahmen. Ich wartete, während die Ruder ins dunkle Wasser tauchten, bis der Wind die Segel füllte und die Schiffe begannen, sich aus der geschützten Bucht nach Osten ins offene Meer zu bewegen. Dann schloss ich die Augen und beschwor den Zauber herauf. Mit jedem Teil von mir, Geist, Körper, Seele, dachte ich Taube. Die Worte des Zaubers vibrierten in mir. Ich spürte die Macht in meinen Fingerspitzen, in meinen Fußsohlen, in meinem Haar und wie eine Strömung auf meiner Haut, wie sie mich vorwärts trug. Ich öffnete die Augen, breitete die Flügel aus und flog.
KAPITEL 14
Es sollte eigentlich ganz einfach sein. Ein Vogel bewegt die Flügel auf und ab und wendet sich nach Süden oder Norden oder wo immer er hin möchte. Er folgt dem Schwarm, bis er sein Ziel erreicht, dann landet er geschickt auf einem Baum, zum Beispiel auf einer Ulme mit vielen bequemen Ästen und Zweigen. Aber das hier war alles andere als einfach.
Ein Teil geschah
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