Das Kind der Stürme
und sein Blick bewirkte, dass ich mich wirklich sehr seltsam fühlte. Er bewirkte, dass ich Dinge tun wollte, von denen ich wusste, dass sie mir versagt waren.
»Ich kann das nicht.« Ich sah ihn an, behielt die Hände im Schoß und zwang mich, in einem Muster zu atmen. Einatmen, zwei, drei, ausatmen, zwei, drei. Beherrschung. Es gelang mir, nicht die Hand zu heben und ihn zu berühren. Es gelang mir, ihm nicht die Arme um den Hals und meine Wange an seine zu legen und mich dieser großen Welle von Sehnsucht zu überlassen, die mich durchströmte. Es war grausam. In einem einzigen Augenblick hätte ich erreichen können, was ich mir so sehr wünschte. Ich hätte lächeln können, wie ich Eamonn angelächelt hatte, ihn bitten können, die Augen zu schließen, und ihn küssen können, wie Großmutter es mir beigebracht hatte, auf eine Weise, die bewirkte, dass ein Mann vollkommen für eine Frau entflammte, so dass er alles tun würde, um sie zu bekommen. Ich hätte lauter reden können, und dann wären Möwe oder Biddy nach draußen gekommen und hätten uns erwischt. Dann hätten sie Darragh weggeschickt, und das hätte ihm das Leben gerettet. Aber ich konnte es nicht tun, nicht einmal aus diesem Grund. Er war mein Freund. Er war der einzige Mensch auf der Welt außer meinem Vater, dem ich vertraute. Ich konnte mich nicht dazu zwingen, das, was zwischen uns war, zu etwas Billigem zu machen. Und dennoch, in diesem Augenblick sehnte sich jeder Teil von mir danach, ihn in die Arme zu nehmen und mich von ihm zu verabschieden, wie sich ein Mädchen von seinem Schatz verabschiedet, mit liebevollen Worten und der Wärme ihres Körpers. Ich blieb reglos sitzen. Ich sagte nichts. Aber meinen Blick konnte ich nicht beherrschen.
»Löckchen?«, sagte Darragh sehr zögernd, als hätte er gerade etwas gesehen, das er nicht ganz glauben konnte.
Berühr mich noch einmal, sagte etwas in mir, entgegen all meiner Versuche, mich zu beherrschen. Leg die Arme um mich und halt mich fest. Nur dieses eine Mal.
Aber Darragh drehte mir den Rücken zu, steckte die Hände in die Achselhöhlen, und als er schließlich sprach, bebte seine Stimme von einem Gefühl, das ich nie würde verstehen können.
»Du solltest lieber gehen«, sagte er. »Geh schon, Fainne. Es ist spät. Geh jetzt lieber.«
Ich rutschte von der Mauer. Plötzlich war mir kalt geworden. Was hatte ich falsch gemacht? Er schien wütend zu sein, und dabei hatte ich gedacht …
»Geh schon, Fainne.« Er hatte mir immer noch den Rücken zugewandt, die Arme fest verschränkt, als wäre ihm plötzlich schon der Gedanke zuwider, mich anzusehen oder mich zu berühren. Ich konnte nicht glauben, wie sehr mir das wehtat; es war, als wären die letzten Überreste meiner Kindheit plötzlich zu Asche geworden. Ich streckte die Hand aus und berührte seinen Arm nur einen winzigen Augenblick.
»Lieber nicht«, sagte er mit erstickter Stimme und scheute wie ein nervöses Pferd.
»Gute Nacht.« Ich zwang die Worte heraus, musste mich zwingen, Luft zu holen. Ich musste am nächsten Morgen stark sein, stark für den Flug. Ich konnte mir so etwas nicht leisten. Es zerriss mich einfach.
»Mach's gut, Löckchen. Pass gut auf dich auf, bis ich wieder da bin.« Immer noch wollte er mich nicht ansehen. Seine Stimme war genau, wie ich sie in Erinnerung hatte, offen und ehrlich. Ich floh, bevor ich noch etwas sagen konnte, was mir danach ewig Leid tun würde. Ich rannte durch das Langhaus, wo Möwe und Biddy nun vor dem niedergebrannten Feuer saßen und sich leise unterhielten. Alle mussten sich verabschieden, aber ich glaubte, dass keiner dieser Abschiede schlimmer oder endgültiger war als mein eigener. Ich erreichte meine kleine Schlafhütte und schlich mich leise herein, und dann lag ich mit offenen Augen auf meinem Strohsack. Zwei der Mädchen schliefen bereits, aber Brenna flüsterte: »Ist alles in Ordnung, Fainne?«
»Mhm«, sagte ich und zog mir die Decke über den Kopf. Nichts war in Ordnung, und es sah nicht so aus, als ob sich das je ändern würde. Ich hatte so vieles falsch gemacht. Ich hatte so viele gute Menschen verletzt, genau wie das Eulengeschöpf gesagt hatte. Wir dachten, du interessiertest dich nicht für die Opfer, die du am Weg zurücklässt. Aber es interessierte mich, das war das Problem. Das war es, was mich zurückhielt. Gefühle. Freundschaft. Loyalität. Liebe. Es war für eine Zauberin wie Großmutter, die sich einen Dreck um die Verluste scherte, so viel
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