Das Kind der Stürme
bewegte sich; er hing in der Luft, ein Stück über mir, und wartete. Schrecken, Tod. Ich flog tiefer, jetzt weniger kontrolliert, und Panik drohte meine ohnehin unsichere Beherrschung dieses windgepeitschten Flugs vollkommen schwinden zu lassen. Die graue See kam näher; ich stellte mir Ungeheuer mit dolchscharfen Zähnen unter der aufgewühlten Oberfläche vor. Die bedrohliche Präsenz trieb mich wieder nach Westen, blieb immer gerade außerhalb meiner Sichtweite, aber nahe genug, so nahe, dass ich die ausgestreckten Krallen spüren konnte, den reißenden Schnabel eines hungrigen Raubvogels. Ich flatterte entsetzt, während der Wind peitschte und die schiefergrauen Wellen zu mir hochzuckten, jetzt noch mehr als zuvor. Dreh um und kehr nach Hause zurück, bevor es zu spät ist, sagten meine Instinkte. Warte, warnte der Teil von mir, der immer noch klar denken konnte. Der Schlüssel liegt in der Selbstbeherrschung.
Aber es ist nicht leicht, sich zu beherrschen, wenn der Tod nur ein Schnabelklappern entfernt ist. Die Angst verlieh meinen Flügeln Kraft. Mein kopfloses Flattern wich einem stetigen Schlagen, auf und ab, auf und ab. Ich flog nach Südwesten, dicht über dem Meer, und die unsichtbare Präsenz hinter mir folgte, als wäre sie mein eigener Schatten. Ich erwartete jeden Augenblick ein tödliches Zuschlagen, ein letztes Herabstürzen, den Tod. Ich flog weiter, nun waren die Boote wieder näher, so dass ich die schwarzen, braunen oder cremefarbenen Segel sehen konnte, das Heben und Eintauchen vieler Ruder und schließlich sogar die Gestalten der Männer, die ich kannte: der Hauptmann mit seinem kunstvollen Muster auf der Haut, Möwes dunkles Gesicht, Johnny, der am Heck eines kleinen Bootes stand und seine Augen abschirmte, als er nach Süden spähte.
Hinter und über mir sammelte etwas seine Kraft, vielleicht um zuzuschlagen. Schnell. Ich musste landen. Ich musste einen Platz dort auf den Booten und zwischen den Männern finden, bevor die Klauen sich in meinen Rücken bohrten und ich nur noch ein schlaffes Bündel aus leblosem Fleisch und Gefieder war. Rasch. Aber wo? Wo wäre ich sicher? Würde man mich nicht direkt nach meiner Landung fangen, mir den Hals umdrehen und mich fürs Abendessen beiseite legen?
Ich hatte keine andere Wahl. Das Geschöpf stieß zu, ein finsterer Zerstörer, rasch und zielgerichtet. Ich wich seitwärts aus, entging den Krallen um Haaresbreite und landete ungeschickt, nicht auf dem Rand des kleinen Bootes, nicht auf einem gespannten Seil oder einem praktischen Stück Holz, sondern auf der Schulter eines Mannes, und meine kleinen Vogelfüße krallten sich instinktiv an dem weichen Tuch des abgetragenen Umhangs fest. Das Wesen hinter mir flog vorbei und landete mit großer Präzision am Heck des Bootes, direkt neben meinem Vetter Johnny, der nicht einmal mit der Wimper zuckte und weiter auf den Ozean hinausschaute. Es war Fiacha: dunkles Gefieder, blitzende Augen, ein Schnabel wie ein Messer – Fiacha, der mich verfolgt hatte, damit ich mich an diesen sicheren Ort flüchtete. Jetzt, da ich ebenfalls ein Vogel war, gefielen mir seine Methoden noch weniger als zuvor.
»Ah«, sagte der Mann, auf dessen Schulter ich gelandet war, und streckte die rechte Hand nach mir aus. Die Taube spürte Gefahr. Ich trippelte ein Stück zur Seite, die Klauen immer noch im Stoff des Umhangs. Nun konnte ich sein Gesicht erkennen, und selbst mit meinen Vogelaugen erkannte ich diese hageren Züge, diese umschatteten, farblosen Augen. Selbst ohne das Aufblitzen der weißen Federn unter der geflickten Kleidung wusste ich, wer es war.
»Ein weiter Weg«, sagte Finbar leise. Er hatte vielleicht von mir gesprochen oder von sich selbst oder von uns beiden.
Er war also mitgekommen. Entgegen all meiner Erwartungen hatte er meinen Weckruf gehört.
Gareth zog an einem Ruder, die Stirn vor Anstrengung gerunzelt. »Der Sturmwind hat sie wahrscheinlich vor sich hergetragen«, stellte er fest. »Ein solches Geschöpf gehört in einen geschützten Wald und nicht so weit aufs Meer hinaus.«
»Meine Mutter hat immer leckere Taubenpastete gebacken, mit Lauch und Knoblauch drin«, warf Godric ein.
»Diesmal nicht.« Finbar bewegte vorsichtig den Arm; ich trippelte näher zu seinem Kopf hin und begann, mein Gefieder zu putzen. Fiacha hatte mich offenbar an den sichersten Ort getrieben, den ich unter diesen grimmigen Kriegern finden konnte.
»Diese Taube ist ein sanftes kleines Geschöpf; wir können uns doch sicher
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