Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
Vom Netzwerk:
ihn. Er ist schon halb tot. Es ist ganz einfach. Schnell jetzt, bevor er das Schwert mit letzter Kraft in den Hals des Briten stößt. Schnell. Sie schauen zu. Sie schauen alle zu. Ich will ihre Gesichter sehen, wenn das Kind der Prophezeiung an seinem eigenen Herzblut erstickt. Tu es, Fainne. Tu es für mich und für alle von unserer Art!
    Es war nicht so weit bis zu Johnny. Vielleicht zehn Schritte. In zehn Schritten kann allerdings viel geschehen. Ich blickte auf, sah mich im Kreis um, sah die entsetzten Gesichter von Onkel Sean und von Eamonn und das erwachende Begreifen auf Conors ernsten Zügen. Ich sah Finbars anerkennendes Nicken. Ich sah die Verwirrung und die Zweifel auf den Gesichtern von Briten und Iren. Und hinter dem Kreis sah ich andere stehen, die schweigend warteten, ihre seltsamen Augen durchdringend und ihre Blicke angespannt: eine Frau, größer als jede Sterbliche, die Haut weiß wie Frühlingsschnee, mit langem, dunklem Haar wie Seide; ein flammengekrönter Mann, dessen Kleidung wie ein Vorhang lebendigen Feuers über seine stattliche Gestalt floss. Und es waren andere da, viele andere, Wesen, die irgendwie vor meinen Augen zu verschwinden schienen und sich bewegten wie Pflanzen im Wasser, mit Haut durchscheinend wie Glas, liebreizende Kreaturen, die in Federn und Beeren gekleidet waren, in Gras und Blätter, in Farne, Flechten und Rinde und weiches Moos. Sie alle waren riesengroß, und alle sahen mich an. Die Zeit ist gekommen, schienen sie zu sagen. Endlich ist es Zeit. Das Feenvolk war nun also ebenfalls erschienen. Aber sie würden mir nicht helfen. Ich musste es selbst tun.
    Mach schon, Fainne, drängte Großmutter, schnell jetzt. Dies kann nur auf eine einzige Weise enden. Töte ihn. Schnell, Mädchen!
    Ich machte einen weiteren Schritt, dann noch einen. Ich hatte den Bereich halb durchquert. Nun erklang ein Ruf in der Sprache der Briten: »Es ist ein Trick! Haltet das Mädchen auf!« Ich hörte ein Pfeifen in der Luft hinter mir und ein allgemeines Keuchen; ich hörte, wie jemand auf mich zurannte und wurde grob zur Seite gestoßen, so dass ich auf den Boden fiel, und etwas Schweres fiel auf mich. Ich hörte Geschrei und das Geräusch von Waffen, die gezogen wurden, und dann rief Onkel Sean: »Nein! Bleibt ruhig. Haltet euch zurück!«
    Ich kam auf die Beine und schob das schlaffe Gewicht von mir herunter. Es war Blut auf meinem Kleid, viel Blut; Rionas rosa Rock war scharlachrot verfärbt. Ein Mann lag zu meinen Füßen, und es war sein Blut, das mein Kleid durchtränkte, denn ein schlanker Speer hatte seine Brust von hinten nach vorn durchbohrt; die Speerspitze mit dem Widerhaken ragte aus seinem Körper und zerrte an meinem Rock, als ich neben ihm stand. Der Mann würgte; ein roter Strom brach aus seinem Mund und aus seiner Nase und ergoss sich über seinen grünen Waffenrock. Als ich mich bückte, um die Locke zurückzustreichen, die ihm in die Stirn fiel, keuchte er ein Wort, das vielleicht mein Name war, und sackte dann leblos zurück. So unwahrscheinlich das schien – es war tatsächlich Eamonn gewesen, der einem Impuls folgend mein Leben gerettet hatte. Entgegen dem vorhergesehenen Muster der Dinge war er als Held gestorben. Mir wurde kalt. Es durfte keinen Tod mehr geben, kein Blut mehr. Es musste aufhören.
    Ich musste es aufhalten.
    »Bleib zurück!«, schrie Schlange. »Du kannst hier nichts tun.«
    »Wir müssen den Vereinbarungen folgen!« Das war Edwins befehlsgewohnte Stimme, die nun erklang. »Haltet die Disziplin, Männer! Wir haben eine Übereinkunft, und wir werden uns daran halten!«
    »Hört auf Lord Edwin! Bleibt stehen! Haltet euch zurück!« Das war Sean von Sevenwaters, dessen eigene Männer laut nach Blut schrien, denn es war ein britischer Speer, der Eamonn von Glencarnagh getötet hatte, obwohl er für mich bestimmt gewesen war. Es schien nur noch eine Frage von Augenblicken zu sein, bevor diese Krieger mit all ihrem Rachedurst an Schlange und seinen Leuten vorbeistürzen und einander abermals an die Kehle gehen würden, kämpfend und mordend, bis die ganze Insel im Blut schwimmen würde.
    Ein Kreis. Ein Schutzkreis. Das war es, was ich brauchte. Es sollte Feuer sein, denn Feuer war leicht herzustellen, und im Allgemeinen erschreckte es die Menschen genügend, um sie fern zu halten. Ich hob die Arme, sprach die Worte und drehte mich einmal um mich selbst. Noch während ich das tat, wusste ich, dass mir die Kraft selbst für diesen einfachen Trick fehlte; das

Weitere Kostenlose Bücher