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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Schlange, selbst Onkel Sean schaute mich entsetzt und angewidert an. Vielleicht war das genau, was ich verdient hatte.
    Johnny war auf die Knie niedergefallen, er hatte die Hand an die Seite gedrückt, die Finger vom Blut verfärbt. Edwins Sohn lag auf dem Rücken, starrte ins Leere und atmete schwer.
    »Schnell, Mädchen!«, zischte die Zauberin. »Benutze deine Fähigkeiten! Oder nimm das Schwert, wenn es sein muss! Tu es endlich! Ich muss sehen, wie er von deiner Hand stirbt.«
    »Es tut mir Leid, Großmutter«, sagte ich höflich, und meine Stimme zitterte wie ein Blatt im Herbst, »aber ich werde es nicht tun.«
    Ich sah, wie ihre Miene sich veränderte; ich schauderte über ihren Blick. Mit einem solchen Blick konnte eine Zauberin einen hilflosen Sterblichen durch reines Entsetzen zu Stein verwandeln. Hinter Großmutter sah ich Conor, der immer noch die Arme ausgestreckt hatte, immer noch den Schutzkreis aufrechterhielt. Das Feuer konnte Lady Oonagh vielleicht nichts anhaben, aber sie war auch nicht im Stande, diesen verzauberten Kreis zu betreten; sie strengte sich sichtlich an durchzubrechen, die Brauen zornig zusammengezogen. Vielleicht hielt eine Kraft, die stärker war als wir beide, sie zurück.
    »Was?«, schrie sie. Der Himmel blieb dunkel; und nun hob der Wind sich wieder, ein heulender, unheimlicher Wind, der Großmutters Röcke flattern ließ. Seltsame Schatten breiteten sich auf dem Boden um sie aus, und sie wurde riesig und noch bedrohlicher. Ihre Augen waren Schlitze in einem kreidebleichen Gesicht, ihre Lippen blutrot, ihre Zähne kleine, scharfe Messer. Links und rechts von ihr begann der Flammenkreis niederzubrennen.
    »Halte aus, Bruder!«, rief Conor. Seine Hände zitterten, und hinter mir hörte ich Finbars erschrockenes, verängstigtes Keuchen. Großmutter strengte sich bis zum Äußersten an, den Kreis zu brechen, und sie war stark. Der Druide und der Seher waren immerhin nur sterbliche Männer. Wenn ich doch nur nicht so schwach gewesen wäre, wenn ich nur einen Hauch meiner wahren Kraft gehabt hätte!
    »Du glaubst, du könntest mich betrügen, Mädchen! Du – ein Kind mit einer halbherzigen Ausbildung und einer hirnlosen Mutter, du mit deinen dummen Ideen von Liebe und Loyalität? Entweder hast du ein schlechtes Gedächtnis, oder du hältst mich für ausgesprochen dumm.« Nun drehte sie sich nach außen und spähte an der Linie von Graben und Erdwall entlang bis zu der Stelle, wo die Befestigungsanlagen in die steile Klippe übergingen. Hier nisteten kleine Vögel, und winzige Pflanzen klammerten sich an die Felsen. Hier gab es keine geschützten Simse, die breit genug waren, dass ein Mann oder eine Frau darauf gehen konnte, es gab keine Sicherheit. Stattdessen zog sich der Boden von der Festung aus sanft bis zum Klippenrand hoch, und dann fielen die Felsen steil zum Meer hin ab. Tief, tief drunten schäumte das Wasser. Schlange hatte seine Männer den ganzen Weg bis zum Klippenrand aufgestellt, damit niemand vorzeitig angreifen würde. Und wer war besser geeignet, den abgelegensten Platz einzunehmen, der am leichtesten zu bewachen war, die Stelle, an der der schräge Boden plötzlich ins Nichts überging, als der Mann vom fahrenden Volk, dem es ohnehin nicht anstand, so zu tun, als wäre er ein Krieger.
    »Jetzt«, flüsterte Lady Oonagh. »Jetzt, jetzt wirst du tun, was ich von dir will. Denn dies kannst du sicher nicht ertragen!«
    Darragh hatte sich ablenken lassen; er blickte zu einem Schwarm von Seeschwalben auf, der in ordentlicher Formation über ihn hinwegzog, vielleicht auf der Suche nach dem Frühling. Noch während ich dastand und zusah, erstarrte ich vor Entsetzen zu Eis, und die Zauberin ließ den Wind den Hügel hinaufheulen. Männer wurden von der Kraft der Bö auf die Knie geschleudert. Die Wucht des Winds traf Darragh unvorbereitet, peitschte sein dunkles Haar zurück und riss ihm den kurzen Umhang ab und hoch in die Luft. Er taumelte zur Seite, versuchte sich festzuhalten, suchte nach einem Felsen, einem Busch, aber es gab nichts, woran er sich klammern konnte, und der Sturmwind trieb ihn stetig rückwärts, rückwärts den Hügel hinauf, und er taumelte näher und näher zu der Stelle hin, wo der Boden einfach verschwand und steil zum Meer hin abfiel. Die Männer rannten auf ihn zu, den Wind im Rücken, aber sie waren immer noch zu langsam. Der breitschultrige Gareth, der dunkelhaarige Corentin, und sie riefen: Halte aus! Wir kommen! Es war klar, dass sie ihn nicht

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