Das Kind der Stürme
gegenüberstand, nun wieder als alte Frau, ihr Mund ein rötlicher Riss in ihrem faltigen Gesicht, ihr Haar eine wilde Krone von zerzaustem Weiß.
»Du hast meinen Bruder umgebracht«, sagte Ciarán, und er klang wie ein kleiner Junge. »Du hast ihn getötet.«
Conor hatte einen gequälten Schrei ausgestoßen, als er Finbar fallen sah. Nun rezitierte er, und seine leisen Worte fielen wie Tränen in die bittere Stille. Ich sah, wie Sean kummervoll das Gesicht verzog; ich spürte den quälenden Schmerz in meinem eigenen Herzen, ich, die ich geglaubt hatte, ich könnte nicht noch trauriger werden. Als Großmutters gackerndes Lachen erklang, kniete Vater neben Finbar nieder und nahm seine Hand, ohne auf die Gefahr zu achten.
»Die Erde möge dich aufnehmen und dich behüten«, sagte Ciarán leise. »Die Wasser mögen dich sanft in dein neues Leben tragen. Möge der Westwind dich schnell und sicher mit sich nehmen. Das Feuer war immer schon dein Element, Bruder, stark und dennoch subtil, denn du warst stets ein Kind des Geistes. Du hast heute dein Leben für mich gegeben, und ich werde dieses Geschenk nicht verschwenden. Darauf hast du mein Wort – das Wort deines Bruders.«
Finbar lächelte und dann starb er, und einen Augenblick lang verdunkelte sich die Luft, als zöge ein Schatten über uns hinweg. Und als ich wieder blinzelte, kam es mir so vor, als wäre der Mann, der dort reglos am Boden lag, von keinem Zauber je berührt worden, ein Mann, der seine Gestalt nie verändert hatte, denn seine beiden Arme lagen ausgestreckt an den Seiten, und seine klaren Augen starrten hinauf in den Himmel, als suchten sie nach einer Antwort, die sich weit, weit hinter dem Reich befand, in dem sich seine Familie um ihn versammelte, ihre Herzen vor Trauer zerrissen.
Dann stand Vater wieder auf und wandte sich der Zauberin zu, und ihr Gesicht veränderte sich, als sie seinen Blick erkannte. Ich durfte nicht zulassen, dass er das tat; es war falsch, dass der Sohn das Werkzeug der Bestrafung seiner Mutter sein sollte. Das hier war nun meine Aufgabe, jetzt war meine Zeit gekommen.
»Nein, Vater«, sagte ich leise, stand auf und trat vor. »Deine Rolle ist hier zu Ende.«
Lady Oonaghs Kopf fuhr zu mir herum, sie öffnete den Mund ein wenig. Sie schien den Sieg zu wittern. »Fainne«, gurrte sie, »wie mutig, meine Liebe! Aber du solltest dich lieber heraushalten. Das hier geht über deine eingeschränkten Kräfte hinaus. Und ich sehe, wie geschwächt du bist. Die Veränderung hat dich vollkommen erschöpft. Mach dich nicht zum Narren, meine Liebe. Überlass das deinem Vater.« Dann wurden ihre Augen größer, und sie schluckte und ballte die Hände zu Fäusten, als sie den Griff meines Zaubers spürte, der sie an Ort und Stelle hielt, fähig zu sehen, fähig zu sprechen, aber nicht im Stande, sich zu befreien, ich sah ihr an, dass ihr nun klar wurde, wie sehr sie mich unterschätzt hatte.
»Du bist tatsächlich gut«, sagte sie angespannt. »Schließlich warst du meine Schülerin. Also gut, mach, was du willst. Es ist ohnehin alles sinnlos. Ich habe diesen Kampf gewonnen, ganz gleich, was du dir noch ausdenkst. Sevenwaters hat vielleicht nicht die Schlacht verloren und auch nicht die Inseln, aber das Feenvolk hat nicht erreicht, was es wollte. O ja, sie stehen da und sehen zu, schau über die Schulter, und dann wirst du sie erblicken, die Herrin des Waldes und ihren Feuerlord, die Edlen aus Fluss und Ozean, aus den luftigen Höhen und den hallenden Höhlen. Sevenwaters kann nicht siegen. Das Kind der Prophezeiung lebt, aber es kann sie nicht erfüllen. Er hat es einfach nicht in sich.«
Vater lächelte. Er sah mich an, und ich erwiderte diesen Blick.
»Wie meinst du das?«, fragte Conor. Sein Gesicht war tränennass, er sah grau und alt aus. »Johnny hat seine Männer tapfer angeführt und dafür beinahe mit dem Leben bezahlt. Er hat hier auf dem Feld triumphiert und die Inseln für Sevenwaters gewonnen. Was sollte es sonst noch geben?«
Lady Oonagh lachte, ein jugendliches, sorgloses Lachen wie das Klingeln kleiner Glöckchen. »Der Kampf war nur der erste Teil, mein lieber kleiner Druide. Was danach kommt, zählt viel mehr. Das Kind der Prophezeiung soll Wache halten, eine sehr einsame Wache. Es geht hier um nicht weniger als die lange Wache über die Geheimnisse der Überlieferung, das Herz der Mysterien, an die sich das Feenvolk so eifersüchtig klammert. Er muss dort hinaufsteigen, auf die Spitze dieses Felsens mitten im
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