Das Kind der Stürme
»Ich nehme an, du meinst Roisin. Ist sie frech gewesen?«
»Eigentlich nicht.«
»Du musst bei ihr ein bisschen aufpassen. Sie sagt immer, was sie denkt, wenn ihr danach ist.«
»Mhm«, erwiderte ich. »Das ist mir aufgefallen.«
»Aber sie ist ein gutes Mädchen. Das sind sie alle.«
Nur zu bald waren wir am Ziel. Ich hatte noch nie so viele Menschen an einem Ort gesehen und nie solchen Lärm von Stimmen gehört. Wenn man gut genug hinsah, konnte man allerdings eine gewisse Ordnung erkennen. Der eigentliche Pferdehandel fand dort statt, wo die Tiere angebunden waren und kleine Gruppen von Männern beieinander standen: Bauern, Fahrende und ein paar, die wie Adlige oder deren Waffenmeister wirkten. Zähne und Hufe wurden kritisch inspiziert, konzentrierte Gespräche geführt. Näher bei uns verkauften Leute alle möglichen Dinge und schwatzten; es roch nach etwas Gutem, das auf einem kleinen Feuer briet, und ich konnte den geschlossenen Wagen des Großmeisters und seinen stimmgewaltigen Ausrufer sehen. Irgendwer rief nach Darragh. Wir blieben unter einer Reihe großer Bäume stehen.
»Also gut«, sagte er und glitt leicht wie eine Feder von Aoifes Rücken. »Wir sind da.« Er hob mich herunter und blieb dann mit den Händen an meiner Taille stehen. »Ah«, sagte er, »ein Lächeln. Das ist selten.«
Ich streckte die Hand aus und tätschelte Aoifes gut gestriegelte Flanke. »Du verkaufst sie doch nicht, oder?«, fragte ich.
»Ganz bestimmt nicht. Ich könnte mich jetzt wirklich nicht von ihr trennen. Sie bringt mir Glück.«
Ich nickte. »Jemand ruft nach dir«, sagte ich.
Darragh nahm die Hände weg. »Ich weiß nicht, ob ich hingehen kann«, sagte er und runzelte die Stirn. »Mam ist noch nicht da, und ich habe gesagt, dass ich dafür sorgen werde, dass sie dich findet. Und da oben ist kein Platz für ein Mädchen.« Er wies mit dem Kopf zu den Pferdereihen.
Eine weitere Stimme brüllte: »Darragh! Du wirst hier gebraucht!«
»Geh lieber«, sagte ich mit mehr Mut, als ich tatsächlich verspürte. »Ich kann hier unter den Eichen warten und nach den anderen Ausschau halten.«
Darragh sah mich forschend aus seinen braunen Augen an. »Bist du sicher?«
»Ich bin doch kein Kind. Ich denke, du kannst mir schon zutrauen, dass ich hier warte und nicht verloren gehe.«
»Versprich, dass du keinen Ärger machst.«
»Mach dich nicht lächerlich!«
»Versprich es, oder ich werde hier mit dir warten müssen.«
»Darragh!« Diesmal war es Dan Walker, der rief.
»Das ist albern. Also gut, ich verspreche es.«
»Also bis später.« Er zupfte noch einmal an der Ecke meines Kopftuchs, dann drehte er sich um und ging, und Aoife folgte ihm gehorsam, so standfest wie ein Fels in dem lärmigen Gedränge.
Ich hatte es wirklich ernst gemeint, als ich mein Versprechen gab. Wirklich. Aber man kann nichts dagegen tun, wer und was man ist. Manchmal geschehen Dinge einfach, und man muss handeln und kann sich einfach nicht bremsen. So ging es auch an diesem Morgen an der Kreuzung.
Ich wich in den Schatten der großen Bäume zurück und wünschte mir, ich hätte die Macht, mich unsichtbar zu machen. Im Augenblick konnte ich allerdings hier unbeobachtet stehen, so bunt mein Tuch auch war, da sich alle Aufmerksamkeit dem Wagen des Großmeisters zuwandte. Er wurde nun geöffnet und ausgepackt, keine zehn Schritte von mir entfernt und unter den lauten Oohs und Aahs der versammelten Menge. Der schlaksige Assistent leistete dabei die meiste Arbeit, während der Meister selbst in seinem fadenscheinigen Ersatz eines Zaubererumhangs dastand, an seiner Hakennase entlangstarrte und sein Bestes tat, hochmütig und geheimnisvoll zu wirken. Ich dachte, dass in diesem absurden Mann weniger Magie war als in meinem kleinsten Finger. Man konnte auf den ersten Blick sehen, dass er ein Betrüger war, und es war verblüffend, dass die Leute ihn ernst nahmen.
Der Assistent hatte viel zu tun. Bald schon war der Bereich an den Seiten des Wagens von einer bunten Reihe von Fahnen und Netzen eingenommen, mit vielen kleinen Käfigen auf Stangen, in denen jeweils ein seltsames Geschöpf saß, das für einen gewissen Preis zu haben war, um eine Liebste zu amüsieren oder einen Nachbarn neidisch zu machen. Ich schob mich ein wenig näher heran, aber das war schwierig, ohne gesehen zu werden. In dem Käfig, der mir am nächsten war, befand sich ein verloren aussehender Vogel, eine Art Eule mit zerzaustem Gefieder. Sie bewegte sich von einer Seite der
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