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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Es gab noch mehr Geschichten, komische, traurige, rührende. Am Ende überredeten sie Darragh, Dudelsack zu spielen. Diesmal entschied er sich nicht für eine seiner herzzerreißenden Klagen, die ich so oft auf dem Hügel über der Bucht vernommen hatte. Er spielte Tanzmusik, und die jungen Leute standen auf und bildeten einen Kreis, und es gab viel Füßestampfen und Händeklatschen, und Röcke und Fransentücher wirbelten im warmen goldenen Licht des Lagerfeuers. Ich blieb sitzen und sah zu und trank. Darragh spielte weiter. Er sah nicht die jüngeren Männer an und auch nicht die älteren Leute, die bequem dasaßen und nach einem Jahr ihre Freundschaften erneuerten. Er schaute mich an. Steh auf und tanze, sagten seine Augen herausfordernd. Warum denn nicht? Und tief in mir gab es etwas, das genau das tun wollte. Die Musik sprach direkt das Blut an, sie sprach Gefühle an, die lieber nicht aufgeweckt werden sollten. Aber ich war gut ausgebildet. Ich sagte streng zu mir: Du, tanzen? Sei nicht albern. Du wirst niemals tanzen, nicht ohne dich zum Narren zu machen. Außerdem bist du, was du bist. Du bist außerhalb von all dem, und du wirst es auch immer sein.
    Danach war es recht einfach aufzustehen, kurz mit Peg zu sprechen und mich ins Zelt zurückziehen.
    »Hat es dir gefallen, Mädchen?«, fragte Peg. Ich reagierte mit einem Nicken, das alles hätte bedeuten können, und floh in meine dunkle einsame Ecke. Draußen ging die Musik weiter. Irgendwann schlossen sich Darraghs Dudelsack noch eine Flöte und eine Trommel an. In meinem eigenen kleinen Fleck von Stille öffnete ich die Holztruhe, wühlte darin herum und holte Riona heraus. Ich konnte ihre Züge im Schatten kaum erkennen.
    Hat meine Mutter getanzt?, fragte ich sie. War diese Seide einmal ein Tanzkleid? Meine Finger berührten eine Falte der rosa Seide, aus der Rionas Kleid bestand. Sicher würde nur ein sehr hübsches, selbstsicheres Mädchen einen solchen Stoff tragen. Und dennoch, das gleiche Mädchen war zu dem zerbrechlichen Geschöpf aus Pegs Geschichten geworden, zu einer Frau, die ihr kleines Kind und den jungen Mann verlassen hatte, der sie so verzweifelt liebte, zu der Frau, die einfach eines Tages von der Klippe gesprungen und tief, tief hinuntergestürzt war, durch die wilde Gischt in den eisigen Griff des Meeres, das gegen die Felsen der Honigwabe hämmerte. Ihre eigene Familie hatte ihr das angetan, ihr Vater, ihre Onkel, ihr Bruder, der immer noch Herr von Sevenwaters war. Darraghs Gerede über Verwandte war Unsinn. Sie hatten sie praktisch umgebracht und damit auch meinen Vater fast vernichtet. Auf ihre Weise waren sie ebenso schlimm wie meine Großmutter. Nun musste ich ihnen entgegentreten, und irgendwie musste ich die Aufgabe vollenden, die Großmutter mir auferlegt hatte. Wie konnte ich an Geschichten und Musik und Spaß denken, wenn so etwas vor mir lag? Dan Walker und seine Familie waren einfache Menschen. Selbst die Geschichten, die sie erzählten, waren schlicht. Ich gehörte nicht hierher, und es war dumm zu glauben, dass das je anders sein würde. Ich musste mich zurückziehen und dafür sorgen, dass ich keine Aufmerksamkeit erregte. Bald würde ich am Ziel meiner Reise sein, und dann konnte ich mit der Arbeit beginnen, die von mir verlangt wurde.
    Aber das war nicht so einfach. Es kam mir beinahe so vor, als gäbe es eine kleine Verschwörung mit dem Ziel, mich aus mir herauszulocken und mich überall einzubeziehen, ob ich nun wollte oder nicht.
    Am nächsten Morgen waren alle früh auf, und viele aßen bereits ihren Haferbrei, als ich verschlafen aus dem Zelt kam. Es gab einen gemeinsamen Wassertrog. Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht, denn ich hatte schon gelernt, mich nicht so anzustellen.
    »Beeil dich mit dem Essen«, sagte eines der Mädchen, als es an mir vorbeieilte und sich das Haar ordentlich mit einem Tuch zurückband. »Es ist ein ziemlich weiter Weg, und der Markt fängt früh an.«
    Stumm nahm ich eine Schale Haferbrei entgegen und zog mich unter die Bäume zurück, um dort auf einem abgebrochenen Ast zu sitzen und zu essen. Ich war müde. Es war eine lange Nacht gewesen. Ich wollte sowieso nicht mitgehen. Aber sie waren alle so geschäftig; ich konnte niemanden fragen. Die Ponys mussten so gut aussehen wie möglich; Dan inspizierte sie, während die Jungen noch damit beschäftigt waren, letzte Hand anzulegen: hier wurde noch eine Mähne geflochten, dort ein Schweif ausgekämmt. Peg suchte die besten Körbe heraus,

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