Das Kind der Stürme
auch den anderen Mann sehen, seinen schweigenden Begleiter, der ein Stück entfernt wartete und die Zügel von drei Pferden in der Hand hielt. Dieser Mann war viel älter und hatte weiches, glänzendes Haar, das einmal rötlichbraun gewesen war, aber nun von Weiß durchzogen wurde; Haar, in das viele kleine Zöpfe mit bunten Fäden geflochten waren. Er hatte ein seltsam faltenloses Gesicht und einen gelassenen, alterslosen Blick; er trug ein langes weißes Gewand, das sich stets ein wenig um ihn zu bewegen schien, obwohl es windstill war. Er hatte einen Birkenstab in der Hand, und die helle Morgensonne brachte einen Goldreif, den er um den Hals trug, zum Glänzen.
»Ich glaube, du kennst mich.« Es war die Stimme eines Druiden, weich wie Musik, eine Falle für das Ohr und den Geist.
»Du bist Conor, der Erzdruide?«
»Ja. Du kannst mich Onkel nennen, wenn das nicht zu verwirrend für dich ist.«
»Ich – ja, Onkel.«
»Komm näher, Fainne.«
Ich tat es zögernd. Ich brauchte Zeit, um mich darauf vorzubereiten, Zeit, mich zu sammeln, um alle Kraft zu Finden, die diese Begegnung brauchte. Aber ich hatte keine Zeit. Ich sah ihm direkt in die Augen, und ich wusste, dass seine Erinnerung an meine Mutter mir helfen würde. Dieser Mann hatte ihren Sturz verursacht. Er hatte sie von allen, die sie liebte, weggeschickt, und das hatte sich nach einiger Zeit als Todesstrafe erwiesen. Er sah mich mit diesen ruhigen grauen Augen an, und ich fühlte mich sehr unbehaglich, beinahe, als schaute er durch mich hindurch. Aber ich starrte zurück, ohne zu blinzeln; ich war gut ausgebildet.
»Sean hatte Unrecht«, sagte Conor. »Ich denke, du bist deinem Vater viel ähnlicher als deiner Mutter.«
Selbst im Herbst und nachdem schon so viele Blätter dick und feucht unter den Füßen unserer Pferde lagen, war der Wald dunkel. Er schien die Hand auszustrecken, als wir tiefer und tiefer hineinritten, und uns in seinen Schatten aufzunehmen. Manchmal erklangen Stimmen in der Luft über uns, hoch und seltsam, aber wenn ich aufblickte, konnte ich nur den Hauch einer Bewegung aus dem Augenwinkel erkennen, zwischen den nackten Zweigen der Buchen. Es war wie Spinnweben in der Luft; es war wie ein Tuch aus Nebel, der sich schneller bewegte, als das Auge folgen konnte. Ich konnte die Worte nicht verstehen. Die beiden Männer ritten ungerührt weiter; wenn sie diese Tricks von Licht und Schatten überhaupt wahrnahmen, akzeptierten sie sie als einen vertrauten Teil der undurchdringlichen, geheimnisvollen Landschaft. Alles hier war geheim und abgeschlossen. Es fühlte sich wie eine Falle an.
Sie machten keine Zugeständnisse an meine Müdigkeit, und ich klammerte mich grimmig fest, dankbar, dass mein Pferd den Weg zu kennen schien, ohne dass ich etwas dazu tun musste. Niemand hatte mich gefragt, ob ich reiten könnte, und ich würde ihnen nicht verraten, dass ich nie auf einem Pferderücken gesessen hatte, ohne dass Darragh hinter mir saß und alle Arbeit erledigte. Die Hunde eilten voran und schnüffelten im Unterholz. Onkel Sean unterhielt dabei ein freundliches Gespräch mit mir. Zuerst war es nur höfliche Konversation. Ich nahm an, er versuchte mich zu beruhigen. Er ließ mich wissen, dass in Sevenwaters gerade eine Beratung stattfand und sich zu diesem Zweck viele Besucher im Haus befanden; dass sie zu diesem Zeitpunkt besonders vorsichtig sein mussten und dass ich das sicher verstehen würde. Er erwähnte, eine Tochter in meinem Alter zu haben, die mir helfen würde, mich einzugewöhnen. Seine Frau, meine Tante Aisling, würde sich ebenfalls freuen, mich zu sehen, denn auch sie hatte meine Mutter gekannt.
»Du verstehst, dass wir keine Ahnung hatten, dass du unterwegs warst, bis der Mann letzte Nacht angeritten kam«, fügte er ernst hinzu. »Dein Vater war recht knauserig mit Botschaften. Wir hätten dich hier gerne schon früher gesehen. Aber Ciarán hat den Kontakt mit unserer Familie sehr eingeschränkt. Wir haben ihn nach … nach dem, was geschehen ist, nie wieder gesehen.«
»Vater hatte seine Gründe«, sagte ich in das recht unbehagliche Schweigen.
Sean nickte. »Sie hätten sicher nicht zusammen nach Sevenwaters zurückkommen können. Ich bin immer noch nicht davon überzeugt, dass er das Richtige getan hat. Dennoch, nun hat er dich nach Hause geschickt. Du wirst feststellen, dass die Leute hier sehr neugierig auf dich sind. Muirrin, meine älteste Tochter, wird sich um dich kümmern und dir helfen, mit ihren Fragen
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