Das Kind der Stürme
Wo war er? Der Regen lief mir übers Gesicht, wusch es sauber, wusch alles weg. Fühlte es sich so an, wenn man weinte?
Der Stock ruckte in meiner Hand. Ich ließ die Baumwurzeln los, packte den Ast mit beiden Händen und klemmte den Fuß zwischen die Wurzeln, um nicht über die Felsen und das steile Ufer hinabgespült zu werden. Über meinem Kopf leuchtete die Feuerkugel weiter. Ich zog so fest ich konnte, spürte die Anstrengung in meinem Rücken. Komm schon, komm schon, alter Mann, es ist nicht mehr weit.
Eine schlanke, bleiche Hand erschien, packte den Ast, dann eine andere, die aus dem Wasserfall auftauchte und sich an die schlammigen Wurzeln neben mir klammerte. Ich beugte mich vor, packte seinen Arm und zog abermals mit aller Kraft. Ein Platschen war zu hören, und sein Kopf tauchte aus dem Wasser auf, die kleinen Zöpfe klebten nass an seinem Schädel, sein Mund stand offen und keuchte wie der eines Fischs. Irgendwie gelang es ihm dennoch, würdevoll auszusehen.
»Manannán steh mir bei!«, hustete er. »Das hier ist eine Erfahrung, die ich lieber nicht wiederholen möchte. Gib mir deine Hand noch einmal, Fainne. Ich bin nicht mehr so beweglich wie früher … ah, gut so, bei allen Heiligen, und mein Stab ist auch weg!«
»Komm mit«, sagte ich und erhob mich nicht ohne Schwierigkeiten auf der rutschigen Oberfläche. »Ich werde dir helfen. Wir sollten lieber sehen, dass wir von diesem Felsen herunter und irgendwo ins Trockene kommen, wenn es so etwas noch gibt.«
»Sehr umsichtig, Fainne«, sagte er und hustete laut, als er die Feuerkugel entdeckte, die immer noch über dem Loch im Boden hing. Das Wasser floss weiterhin in die Höhle. Weiter unten am Hügel konnte man nun das Rauschen hören, wo es wieder hinausströmte.
Ich murmelte etwas, und die Flammen erstarben. »Komm«, sagte ich wieder, und wir stolperten weiter und hielten uns gegenseitig fest, als wir über die Felsen und den Rest eines Wegs kletterten, der nun langsam in vielen kleinen Lawinen nach unten bröckelte, bis wir ein Kieferngehölz fanden und einen Platz unter den Bäumen auf einem Nadelteppich, der beinahe trocken war. Schwer atmend setzten wir uns hin.
»Er wird zurückkommen«, stellte ich fest.
»Was?«
»Der Stab. Du brauchst dir keine Gedanken machen. Sie finden immer ihren Weg zurück. Zumindest hat Vater das gesagt.«
»Tatsächlich? Ich habe ihn noch nie verloren. Aber es gibt Geschichten darüber. Vielleicht entsprechen sie der Wahrheit und vielleicht nicht.«
»Warum hast du das getan? Es heißt doch immer, man soll das Handwerk nicht ausüben, ohne nachzudenken, und dann – dann bringst du dich beinahe selber um! Und dabei bist du ein Erzdruide. Warum also?«
»Warum habe ich was getan, Fainne?«
»Das. Der Regen und – und alles. In deinem Alter solltest du es wirklich besser wissen.«
»Und wie kommst du darauf, dass ich dafür verantwortlich bin?«
Ich warf ihm einen Seitenblick zu, als ich mein Tuch von den Schultern nahm und es auswrang. Die Farben waren nicht verlaufen; dieses wunderschöne Muster alles dessen, was schön und hell und klar war, war weiterhin zu erkennen. »Vater hat immer gesagt, dass du gut mit dem Wetter umgehen kannst.«
»Ich war es nicht.«
Nun, da er wieder Luft bekam, wirkte Conor unerschütterlich wie eh und je und beinahe, als wäre nichts geschehen.
»Vater kann auch gut mit dem Wetter umgehen«, sagte ich vorsichtig. »Einmal hat er in der Bucht Sturm und Wellen heraufbeschworen. Die Leute aus dem Dorf halten ihn für einen Helden.«
»Ich bin sicher, das entspricht der Wahrheit«, sagte Conor sehr leise, »und ein Held macht Fehler und wird stärker. Aber er selbst wird der Letzte sein, der es bemerkt. Hör nur – der Regen lässt nach. Sollen wir nach Hause gehen?«
Wir gingen. In meinen Stiefeln quatschte das Wasser, und mein Kleid war schwer wie Blei. Ich hatte Conors Umhang irgendwo im Wasser verloren und nur mein nasses Tuch gegen die Kälte. Der Regen wurde schwächer und hörte dann ganz auf. Der Wind ließ nach. Am Ufer, wo der Weg aus dem Wald herausführte, war ein langes, kräftiges Stück Buchenholz angeschwemmt worden, in dessen glatte helle Oberfläche viele winzige Symbole eingeschnitzt waren.
»Du hattest Recht«, sagte Conor und bückte sich, um den Stab aufzuheben. Es kam mir so vor, als hebe sich ihm der Stab entgegen, als wäre er froh, wieder zu seinem Besitzer zu kommen. Während wir den Rest des Weges zurücklegten, der zwischen dem Wald
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