Das Kind der Talibanfrau
Mittagessen, beim Abendessen, auf der Toilette, im Bad, auf dem Weg zur Wohnung, in der Wohnung, im Zimmer, im Bett, wenn ich mir die Zähne putze, wenn ich schlafe und wenn ich aufwache.
Andauernd beobachtet sie mich, kontrolliert, gibt Befehle. Immer ist etwas nicht in Ordnung mit mir, immer soll ich mich mehr anstrengen, nie ist etwas gut.
Sie denken, dass ich verrückt, sonderbar, komisch bin. Mir egal, will nicht mit ihnen spielen, mit ihnen reden, ihr Freund sein. Brauche sie nicht.
Mama ist eine größere Zaddika als sie alle zusammen, die Rabbis, die Schüler, der Aufseher und der Schuldirektor.
Mach, dass die Uhr stehen bleibt, auch nur für einen kurzen Moment.
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Blöde Uhr, das ist Absicht. Wenn du willst, dass sie langsam geht, geht sie schnell, willst du, dass die schnell geht, wird sie langsamer. Diese zwei Stunden werden niemals enden, bis um zehn Uhr sind es noch einhundert Jahre. Seit acht haben sich die Minuten nicht bewegt und die Sekunden laufen rückwärts. Nur im Garten der Nichtreligiösen werden die Minuten zu Sekunden.
»Der Rabbi Eliezer hat gesagt«, »die Tosafot fragt«, »Kashi«, »Ei tema«, »Teco«, alles vermischt sich, zusammenhanglos, nur Wörter, nicht einmal Hebräisch, ein Bienensummen, der Körper tut weh, ich muss zurück zu den Träumen, mein Kopf.
Das Fenster ist weit weg, ich kann nirgendwo hinsehen, er hat mich auf einen Stuhl ganz hinten gesetzt, in die Ecke, neben die Wand. Keine Vögel, Wolken, Sonne und kein Blau.
Nur Schwarz und Weiß
alles.
Wolken weißer Hemden bewegen sich vor und zurück, und ganz am Ende, weit weg, zupft Rabbi Hirsch, auch im weißen Hemd und schwarzen Hosen, mit einer weißen Hand an seinem schwarzweißen Bart herum.
Auch die Buchstaben sind schwarz.
Einige sind groß und schwarz, andere sind klein und schwarz. Nur das Papier ist weiß, aber dreckig, fast gelb.
Alles ist schwarz.
Wenn sie doch nur rot gelb rosa grün oder hellblau wären
aber man darf keine Farben benutzen
eine Sünde
die Großen malen nicht.
Diese zwei Stunden werden nie vorübergehen.
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Sie melden sich, reden, fragen vielleicht, antworten vielleicht. Ich weiß es nicht, kann es nicht hören. Einmal wollte ich mich auch melden, um eine Frage zu beantworten, eine Frage zu stellen, um den Rabbi zum Lächeln zu bringen, um ihn sagen zu hören, dass das eine gute Frage ist, dass ich Berge versetzen kann, dass ich hoch hinaus will, dass auch die Großen ganz genau diese Frage gestellt haben.
Ich brauche sie nicht, der alte Hillel selbst lehrt mich die ganze Thora mit links. Er und ich, allein in der Höhle. Ein großes Feuer, orange und gelb, an den Wänden sind goldene Löwen und der Hohepriester hört zu, mit seinen glänzenden Steinen, in allen Farben.
Seid endlich still, was soll das Geschrei, schubsen, lachen, warum bewegen sich die Stühle, wo laufen sie hin. Der alte Hillel ist wütend, hört auf uns zu stören.
Es ist vorbei, der Zeiger hat sich bewegt, Pause, Sonne, raus mich euch. Ich werde den dicken Hajim treten, steh schon auf, ich muss raus. Mosche, David, Salomon, Amram, redet draußen, nicht in der Tür, so komme ich unmöglich durch. Ich werde sie umrennen, alle miteinander, alles, nur um nicht mehr sitzen zu müssen, nur um die summenden Bienen nicht mehr hören zu müssen.
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Kann mich nicht an ihre Namen erinnern, sie sind alle gleich, schwarze Hosen, weiße Hemden, Schläfenlocken, die schaukeln und hüpfen.
Sogar Rafaels rötliches Haar, oder vielleicht ist es Salomon, ist nicht mehr rot, nur schwarz.
Mosche? David? Abraham? Meir? Bestimmt haben sie Namen, jeder von ihnen, so wie ich, doch welche?
Sie sprechen nicht mit mir, und ich spreche nicht mit ihnen. Spiele nicht Vater-Mutter-Kind mit ihnen, Fangen oder Räuber und Gendarm.
Brauche sie nicht, allein ist es am besten.
Mit dem ekligen David spielen sie. Schleimer, kleiner als ich und auch seine Schläfenlocken sind kürzer, und er hat keine Ahnung von den Gebetsbüchern.
Nur nicht mit mir.
Ich werde sie absichtlich stören, sie haben es verdient. Ich stelle mich mitten auf den Hof, und sie können mich schlagen so viel sie wollen. Tut überhaupt nicht weh. Ich weiß auch nicht, wie man spielt, und ich darf genau wie sie auf dem Hof sein, und wenn sie mich nicht wählen, dürfen sie auch nicht spielen.
Mosche und Hajimka können mich auf den Boden werfen, auf mir sitzen und mir ins Gesicht schlagen so viel sie wollen, und alle können lachen. Mir doch egal, ich
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