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Das Kind der Talibanfrau

Das Kind der Talibanfrau

Titel: Das Kind der Talibanfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yair Nehorai
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den Türen, durch die vergitterten Fenster, hinein in die riesigen Flure, die Treppen hinab und in den Hof. In jede Ecke hat Rabbi Eliezer gesagt, hat Rabbi Tarfon gesagt.
    Sie singen.
    Ich bin wieder aus dem Klassenzimmer gegangen. So ist es am besten, anderthalb Stunden allein bis zum Ende der Stunde.
    Eine Million Stufen, drei Etagen, vier, einschließlich der Schule, und riesige, endlose Hallen, mit Decken so hoch wie hundert Wohnungen. Auf einer Seite geht es rauf und auf der anderen wieder herunter.
    Die Klassen sind geschlossen, hässliche Türen, grau mit weißen Flecken.
    Muss neu gestrichen werden, alles.
    Sie singen.
    Auch mein Bild wird im Flur der zweiten Etage aufhängt werden, neben all die großen Gelehrten. Alle Aufseher, Rabbis und Schüler werden sagen, dass ich ein Zaddik bin, dass ich der beste Schüler der Schule war.
    Der Hafez Hajim persönlich hat mir das versprochen.
    Er redet leise, aus dem Bild heraus, mit den Augen. So wie Faigy und ich, wir haben auch eine Geheimsprache, die nur ich hören kann.
    Immer wenn alle im Unterricht sind und ich draußen, ruft er mich in die zweite Etage, sieht mir direkt in die Augen, lächelt und sagt, dass ich eine innere Aufrichtigkeit habe und dass mich niemand auf die Straße werfen wird.
    Und auch, dass ich das Gebet des Tages einmal kräftiger singen werde als irgendjemand sonst, sodass die ganze Welt es hören wird
    Mama auch.

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    Morgen ist Freitag, ein freies Wochenende, wir dürfen nach Hause fahren.
    Nach drei Wochen, G-tt sei Dank. Faigy wird glücklich sein, auf mich draufspringen, mich umarmen, küssen, wir werden einen Tempel im Sand bauen.
    Sie zeigt sie mir absichtlich, lacht und lehnt sich nach vorne, als wüsste sie nicht, dass ihr Hemdkragen offen ist. Sie zeigt mir auch ihre Beine, tut so, als würde es sie jucken, tut so, als hätte sie sich weh getan, und das Kleid rutscht hoch.
    Nach dem Duschen sind die Locken Blumen
    rosa
    gelb
    orange
    blau
    und grün
    hüpfen in das Gesicht, kitzeln in den Augen und in der Nase.
    Es ist erlaubt an Faigy zu denken, keine Sünde, König David hat auch hingeschaut, so steht es eindeutig im Hohelied.
    Wie schön sind deine Brüste, meine Schwester, Braut.

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    Hätte nicht kommen sollen, in der Schule ist es besser.
    Die ganze Zeit ist sie im Wohnzimmer, die ganze Zeit Psalmen, die ganze Zeit sieht sie nur Sünden.
    Nur um ihre Schülerinnen kümmert sie sich, nur sie liebt, umarmt sie, nur mit ihnen redet sie, sorgt sich um sie.
    Von morgens bis abends verfolgt sie mich mit ihren Augen. Immer will sie was, immer mache ich etwas falsch, immer gibt es etwas zu tun.
    Wieso sind die Ärmel aufgerollt? Warum sind die Schläfenlocken hinter den Ohren? Die Kippa ist zu klein, das Haar ist zu lang, studiere die Thora, auswendig lernen, schlag ein Gebetsbuch auf. Hast du die Tefillin angelegt? Psalmen gelesen? Bist du zur Mikwe gegangen? Richtig gebetet?
    Steh auf, setz dich, sprich, sei still.
    Man kann sie nicht sehen, sie ist wie eine Araberin, vier Lagen Kleidung, eine über der anderen, und sie ist klein geworden, winzig. Ich bin erst drei Wochen in der Schule und schon ist sie zu einem Zwerg geworden, kleiner als ich.
    Morgen gehe ich zurück in die Schule.

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    Faigy ist fast so groß wie ich, hat plötzlich einen Schuss gemacht. So wie Mama zum Zwerg geworden ist, nur umgekehrt.
    Außerdem spricht sie, wenn auch nur langweiligen Unsinn. Dass sie jede Menge Mitzwot ausgeführt, das Haus sauber gemacht, das Geschirr abgewaschen, die Babys gefüttert, die Psalmen gelesen hat.
    Sie kann nichts dafür
    Mama lässt sie nicht aus dem Haus
    nie.
    Nicht mal, um zur Schule zu gehen.
    Verboten
    G-tteslästerung
    nicht erlaubt.
    In den Schulen werden nur Sünden begangen.
    Mir ist es egal, dass sie plappert, ich tue so, als hörte ich zu, so wie bei den Rabbis. Ein langes, endloses Kinderlied, das Zwitschern von Vögeln am Morgen, bevor die Sonne aufgeht.
    Sie will mich nur umarmen
    und küssen
    aber leise
    damit Mama es nicht sieht.
    Sie freut sich, dass ich heimgekommen bin.

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    Blöde nichtreligiöse Frau
    Denkt, ich habe mich verirrt, nur weil ich allein bin, nahe an der Wand laufe und in die Läden hineinschaue.
    Und wegen der schwarzen Kippa und den Schläfenlocken.
    Deshalb halten sie mich an und fragen, ob ich Hilfe brauche, und wo Mama und Papa sind.
    Ketzer.
    Ohne Moral
    oder Werte
    keine G-ttesfurcht.
    Deshalb muss ich nah an der Wand laufen, damit sie mich nicht sehen oder mit mir sprechen

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