Das Kind des Schattens
hatten mit geringerer Schwierigkeit als erwartet das Lager bei Aufgang des Mondes verlassen. Levon hatte sie zum Wachtposten geführt, der von Cechtar vom dritten Stamm besetzt war; er würde die Pläne von des Avens Sohn nicht verraten oder behindern. Sein einziger Einwand war sogar gewesen, dass es ihm nicht erlaubt sei, sie zu begleiten.
»Du kannst nicht mitkommen«, hatte Levon sehr ruhig und kontrolliert gemurmelt. »Wenn wir vor Sonnenaufgang nicht zurück sind, dann sind wir entweder gefangen oder tot, und irgend jemand wird es dem Großkönig mitteilen müssen. Dieser Irgend jemand bist du, Cechtar. Es tut mir leid, es ist eine undankbare Aufgabe. Wenn die Götter uns lieben, dann wirst du keine Botschaft zu überbringen haben.«
Danach waren lange Zeit keine Worte mehr gewechselt worden. Nur das Flüstern des Nachtwindes über der Ebene, der Schrei einer Eule und ihre eigenen leisen Schritte waren hörbar, als sie jenseits der Feuer des Lagers in die Dunkelheit eintraten. Und dann das Rascheln der Gräser, die sich teilten, als sie sich fallenließen und den letzten Teil des Weges bis zu dem niedrigen Hügel hin robbten, auf den Levon gezeigt hatte. Er lag unmittelbar im Osten von Daniloth, unmittelbar südlich von Gwynir.
Dave kroch neben Mabon von Rhoden und hinter Torc und Sorcha, die offensichtlich entschlossen waren, jetzt keinen Zoll Abstand zwischeneinander zuzulassen. Dave ertappte sich bei dem Gedanken, wie sehr der Tod Teil seiner Wirklichkeit gewesen war, seit er nach Fionavar kam.
Seit er hier auf der Ebene durch den Raum zwischen den Welten gebrochen war und Torc ihn fast mit einem Dolch getötet hätte. Und bereits in dieser ersten Nacht war es tatsächlich zum Töten gekommen: Er und der dunkle Dalrei, den er nun einen Bruder nannte, hatten zusammen einen Urgach im Faellinhain erschlagen, der erste Tod von so vielen, die noch folgen sollten. Bei Llewenmere war es zum Kampf gekommen und dann wieder am Lathamfluß. Dann die Wolfsjagd in Gwen Ystrat und schließlich vor nur drei Nächten das Blutbad an den Ufern des Adein. Er hatte Glück gehabt, dachte er, während er sich jetzt vorsichtiger vorwärtsbewegte, als der Mond zwischen zwei Wolkenbänken wieder hervorkam. Er hätte etliche Male sterben können … weit weg von zu Hause. Der Mond glitt wieder hinter die Wolken. Der leichte Nachtwind war kühl, wieder schrie eine Eule. Wo die Wolkendecke aufriss, blinkten über ihnen vereinzelte Sterne.
Zum zweiten Mal an diesem Tag dachte er an seinen Vater. Und selbst für Dave war es nicht schwierig, den Grund dafür zu erkennen. Er blickte auf Sorcha, der sich unmittelbar vor ihm mühelos über den beschatteten Boden fortbewegte. Fast gegen seinen Willen stellte er sich seinen Vater als achte Gestalt hier zusammen mit ihnen auf der dunklen Ebene vor. Es war ein Streich, den ihm die Entfernung, die Schatten und die lange Traurigkeit spielten. Josef Martyniuk hatte drei Jahre lang unter den ukrainischen Partisanen gekämpft. Das war nun zwar schon vierzig Jahre her, aber trotzdem … trotzdem hatte ein langes Leben voll physischer Arbeit seinen großen Körper kräftig erhalten, und Dave war in der Furcht vor der Kraft seiner muskulösen Arme aufgewachsen. Josef hätte ohne weiteres diese Axt im Kampfe führen können, und vielleicht hätten seine eisblauen Augen doch ein wenig geleuchtet … oder war das zuviel verlangt? … hätte er gesehen, wie mühelos sein Sohn damit umging, wie sehr er unter Menschen von Rang und Weisheit geachtet war.
Er hätte sicherlich auch mit ihnen Schritt halten können, dachte Dave und ließ sich von seiner Phantasie weitertreiben. Mindestens so gut wie Mabon, und er hätte sicherlich keine Zweifel über die Richtigkeit dieser Handlungsweise gehabt, über die Richtigkeit, in dieser Sache in den Krieg zu ziehen. In Daves Kindheit hatte er Geschichten über die Taten seines Vaters über seinen eigenen Krieg erfahren.
Aber nicht von Josef selbst. All die Bruchstücke, die Dave gehört hatte, waren von Freunden seiner Eltern gekommen, von Männern mittleren Alters, die sich bereits das dritte Glas eisgekühlten Wodka eingossen und dann dem unbeholfenen, zu groß gewachsenen jüngeren Sohn alte Geschichten über seinen Vater erzählten. Aber meist war es nur der Anfang davon, dann brachte Josef, wenn er es hörte, sie mit einem heftigen Donnerwetter in seiner alten Sprache zum Schweigen.
Dave konnte sich noch immer an das erste Mal erinnern, als er seinen älteren
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