Das Kind des Schattens
stattdessen eine Handvoll langes Gras aus dem Boden und warf es auf Mabon, der am Boden lag. Aber der Wind wehte gegen die Wurfrichtung, und das meiste davon landete schließlich auf Dave.
»Ich möchte schon gerne wissen«, ließ sich Levon vernehmen, der sich ihnen nun näherte, »warum ich noch immer meine Zeit mit so verantwortungslosen Menschen verbringe.«
Sein Ton war scherzhaft, aber seine Augen waren nüchtern. Sie setzten sich alle drei auf und blickten ihn ernst an.
Levon hockte sich auf seine Fersen nieder und spielte wie abwesend mit einigen der ausgerissenen Grashalme. »Aileron möchte noch heute Nacht in Gwynir ankommen. Ich selbst bin niemals so weit im Norden gewesen, mein Vater jedoch schon, und er meint, es müsste möglich sein. Aber es gibt dabei ein Problem.«
»Welches?« fragte Mabon in tief ernster Aufmerksamkeit.
»Teyrnon und Barak haben den ganzen Tag lang in ihrem Geist nach vorne gespäht, um herauszufinden, ob vor uns Böses liegt. Gwynir wäre der ideale Ort, um uns in einen Hinterhalt zu locken. Die Pferde, und vor allem die Streitwagen werden sehr schwerfällig sein, selbst wenn wir uns am Rande des Waldes halten.«
»Haben sie etwas gesehen?« Es war Mabon, der die Fragen stellte, während Dave und Torc zuhörten und warteten.
»In gewisser Weise ja. Aber das ist das Problem. Teyrnon sagt, dass er nur eine flackernde Spur des Bösen in Gwynir entdecken kann, aber trotzdem hat er ein Gefühl von Gefahr. Er kann es nicht verstehen. Das Heer der Finsternis spürt er tatsächlich vor uns, aber weit jenseits von Gwynir. Sie sind bereits in Andarien und sammeln sich dort.«
»Was ist dann im Wald?« fragte Mabon weiter, und seine Stirn war von angestrengtem Nachdenken gefurcht.
»Niemand weiß es. Teyrnon vermutet, dass das Böse, das er dort verspürt, noch von dem Durchzug des Heeres herrührt oder aber von einer Gruppe von Spähern, die sie dort zurückgelassen haben. Die Gefahr liegt vielleicht im Wald selbst, so glaubt er. Zur Zeit des Bael Rangat gab es in Gwynir auch Mächte der Dunkelheit.«
»Was also können wir tun?« fragte Dave. »Haben wir eine Wahl?«
»Eigentlich nicht«, antwortete Levon. »Es wurde davon gesprochen, dass man durch Daniloth ziehen könne, aber Ra-Tenniel wandte ein, dass wir zu zahlreich sind. Selbst wenn uns die Lios Alfar führen, könnten sie nicht garantieren, dass nicht viele von uns im Schattenland verloren gingen. Und Aileron will von ihm nicht fordern, dass er den gewobenen Nebel sinken lässt, während das Heer der Finsternis in Andarien steht. Sie würden noch im selben Augenblick nach Süden ziehen, und wir müssten in Daniloth kämpfen. Der Großkönig sagt, dass er das nicht zulässt.«
»Also müssen wir unser Glück im Wald versuchen«, fasste Mabon zusammen.
»So scheint es«, stimmte Levon zu. »Aber Teyrnon behauptet weiterhin, dass er dort nichts wirklich Böses sieht, deshalb weiß ich nicht, ob es tatsächlich ein so großes Wagnis ist. Auf jeden Fall müssen wir es eingehen, und zwar am Morgen. In dieser Nacht darf keiner den Wald betreten.«
»War das ein direkter Befehl?« fragte Torc ruhig.
Levon wandte sich ihm zu. »Eigentlich nicht. Warum?«
Torcs Stimme blieb vorsichtig neutral. »Ich dachte daran, dass eine kleine Gruppe, eine sehr kleine Gruppe, heute Nacht vielleicht vorausgehen und ausspähen könnte, was es dort zu sehen gibt.«
Ein kurzes Schweigen folgte.
»Eine Gruppe von, sagen wir, vier Männern?« murmelte Mabon von Rhoden in einem Ton, der ein lediglich akademisches Interesse ausdrückte.
»Das wäre eine vernünftige Zahl, würde ich meinen«, antwortete Torc, nachdem er reiflich nachgedacht hatte.
Daves Herzschlag wurde plötzlich schneller, als er auf die drei anderen blickte und in jedem von ihnen eine ruhige Entschlossenheit erkannte. Mehr wurde nicht gesagt. Die Ruhepause war fast vorüber. Sie erhoben sich und schickten sich an, wieder aufzusitzen.
In diesem Augenblick aber kam Bewegung in die südöstlichen Ausläufer des Heeres. Dave drehte sich ebenso wie die anderen um, gerade rechtzeitig, um feststellen zu können, dass drei merkwürdige Reiter an ihnen vorbei zu dem Ort geleitet wurden, wo sich der Großkönig, der Aven und Ra-Tenniel von Daniloth aufhielten.
Die drei Reiter waren staubbedeckt und saßen schwer im Sattel. Ihre Gesichtszüge waren von tiefer Müdigkeit gezeichnet. Einer von ihnen war ein Dalrei, ein älterer Mann, sein Gesicht war von Schmutz und Schlamm bedeckt.
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