Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
Vom Netzwerk:
bringen, dachte Flidais, dass man sich schämte und sich aufdringlich oder anmaßend vorkam, dass man glaubte, den Pegel, den er mit dieser Freundlichkeit setzte, nicht erreichen zu können.
    Und trotzdem war er nicht ohne Humor. Selbst jetzt blitzte in seinen Augen ein dünner Schein von Heiterkeit, als er auf den kleinen Andain herabblickte.
    »Ich habe mich schon gefragt«, sagte er sanft, »ob dir wirklich jemals die Worte ausgehen könnten. Ich begann schon daran zu zweifeln, Taliesin.«
    Flidais spürte eine Zornesröte in sich aufsteigen, aber Lancelots Neckerei war nicht bösartig, sie enthielt nur ein Lachen, das sie vielleicht teilen konnten. Und einen Augenblick später geschah dies auch.
    »Mir mangeln weder Worte noch irgendwelche Argumente von verwirrender, buntscheckiger Inkonsequenz«, protestierte Flidais. »Nur die Zeit wird mir knapp angesichts des Ortes, an dem wir stehen. Hier an den Grenzen von Daniloth werde ich nicht versuchen, dich physisch zurückzuhalten. Zumindest dazu bin ich zu klug.«
    »Immerhin«, stimmte Lancelot zu. Nach einer Pause fragte er ihn dann: »Würdest du mich wirklich zurückhalten wollen, selbst wenn du könntest? Jetzt, da du weißt, was du weißt?«
    Dies war eine unziemend schwierige Frage, aber Flidais, zu seiner Zeit das klügste, frühreifste Kind von allen, war nun kein Kind mehr. Nicht ohne Traurigkeit antwortete er: »Ich würde es nicht tun. Da ich euch drei kenne, würde ich dich nicht von etwas abhalten, was sie von dir verlangt hat. Aber ich fürchte das Kind, Lancelot, ich fürchte es zutiefst.«
    Und darauf hatte Lancelot keine Antwort.
    Am Himmel erschien der erste Anflug des grauen Dämmerlichtes, das den Morgen verhieß und all das, was der Tag noch bringen würde. In diesem Augenblick segelte Amairgens Geisterschiff westlich von ihnen gerade längs des Sennettstrandes nach Norden, und seine Passagiere blickten auf eine Stadt, die vor langer Zeit dem Feuer preisgegeben worden war und sich in Asche und Tonscherben verwandelt hatte.
    Hinter ihnen aus irgendeinem verborgenen Platz des dunklen Waldes begann ein Vogel zu singen. Sie standen zwischen dem Wald und dem Nebel und blickten einander an. Flidais wusste, dass es vielleicht das letzte Mal sein würde.
    »Ich bin dir dankbar dafür, dass du mich bis hierher geführt hast«, sagte Lancelot. »… auch dafür, dass du dich um meine Wunden gekümmert hast.«
    Flidais schniefte abrupt und wandte sich ab. »Hätte ich das eine ohne das andere tun können?« brummte er. »Ich hätte dich nirgendwohin führen können, schon gar nicht die ganze Nacht hindurch, wenn ich nicht erst etwas für deine Wunden getan hätte.«
    Lancelot lächelte. »Soll ich dann meinen Dank wieder zurücknehmen? Oder ist das jetzt eines von deinen schillernden inkonsequenten Argumenten?«
    Er war einfach zu klug und war es immer gewesen, entschied Flidais, das war auch der Schlüssel zu seiner Meisterschaft im Kampf: Lancelot war immer intelligenter als alle anderen, mit denen er kämpfte. Der Andain bemerkte, dass er das Lächeln erwiderte und zustimmend nickte … aber nicht ohne ein gewisses Widerstreben.
    »Wie geht es deiner Hand?« fragte er. Das war bei weitem die schlimmste Wunde gewesen: Durch die Berührung mit Curdardhs Hammer war Lancelots Handfläche schlimm versengt worden.
    Lancelot hatte nicht einmal einen Blick dafür übrig. »Es wird schon gehen. Es muss gehen, nehme ich doch an.« Er blickte nach Norden, in die Nebel von Daniloth, die sich vor ihnen ausbreiteten. Irgend etwas veränderte sich in seinen Augen. Fast war es, als hörte er ein Horn oder irgendeinen anderen Ruf. »Ich glaube, ich muss gehen, sonst wäre es sinnlos, dass wir so weit gekommen sind. Ich hoffe, alter Freund, dass wir uns in einer Zeit größeren Lichtes wiedertreffen.«
    Flidais bemerkte, dass seine Augen in schneller Folge zwinkerten. Er brachte ein Achselzucken zustande. »Es liegt in den Händen des Webers«, entgegnete er und hoffte, es möge beiläufig klingen.
    Lancelot belehrte ihn bedeutsam: »Das ist nur die halbe Wahrheit, mein Kleiner. Es liegt auch in unseren eigenen Händen, so sehr sie auch verletzt sein mögen. Unsere eigene Entscheidung ist wichtig, sonst wäre ich nicht hier. Sonst hätte sie nicht von mir verlangt, dem Kind zu folgen. Lebewohl, Taliesin, Flidais. Ich hoffe, dass du findest, was du suchst.«
    Er berührte den Andain leicht auf der Schulter, dann drehte er sich um und war nach wenigen Schritten von den

Weitere Kostenlose Bücher