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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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war der Axt am nächsten, achtete aber sorgfältig darauf, sie nicht zu berühren, denn das war nur der Hohenpriesterin erlaubt.
    Dennoch stand sie ihr am nächsten. Sie war fünfzehn Jahre alt, und gerade erst mit dem Grau der Priesterinnen bekleidet worden, und doch hatte Jaelle sie ernannt, an ihrer Stelle zu zelebrieren, während die Hohepriesterin von Paras Derval abwesend war. Schwarzbraun, dann grau und schließlich rot. Jetzt gehörte sie zu den Mormae. Jaelle hatte sie davor gewarnt, dass es hier im Tempel zu Schwierigkeiten kommen könnte.
    Dass es bisher keine gegeben hatte, lag großteils an der Angst.
    Sie hatten alle ein wenig vor ihr Angst, seit sie vor vier Nächten Owein und die Wilde Jagd gesehen, als sie zur Schlacht bei Celidon eintrafen und dann als Kanal für Ceinwens Stimme gedient hatte. Und das war im Heiligtum gewesen, so fern von dem Fluss, wo die Göttin sich befand. In der überhitzten Atmosphäre des Kriegs hallte diese Manifestation ihrer beunruhigenden Kräfte noch immer im Tempel wider.
    Leider konnte ihr das mit Gwen Ystrat nicht weiterhelfen, mit Audiart war alles ganz anders. Dreimal während der anderthalb Tage nach Jaelles Abreise hatte die Zweite der Göttin Leila mittels der versammelten Mormae in Morvran zu erreichen versucht. Und dreimal hatte Audiart gnädigst angeboten, nach Paras Derval zu ziehen, um dem armen bedrängten Kind, das in einer so schrecklichen Zeit unfairerweise mit einer so schweren Last beladen worden war, zu helfen.
    Leila hatte all die Klarheit und Festigkeit, deren sie fähig war, aufbieten müssen, um sie zurückzuhalten. Sie wusste genauso gut, was auf dem Spiel stand wie alle anderen. Wenn Jaelle nicht zurückkehren würde, so würde Leila, die in einer Kriegszeit zur Stellvertreterin der Hohenpriesterin ernannt worden war, selbst zur Hohenpriesterin werden.
    Die normalen Rituale der Amtsnachfolge, die in Friedenszeiten galten, waren jetzt außer Kraft. Zudem wusste sie auch, dass Jaelle eines ganz klargestellt hatte: Audiart sollte es nicht erlaubt werden, zum Tempel zu kommen.
    Während der letzten Geistverbindung hatte sie es mit Diplomatie versucht, aber das war nutzlos gewesen. Jaelle hatte sie bereits auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht und ihr dann ein anderes Vorgehen erklärt, aber dadurch wurde es für ein fünfzehnjähriges Mädchen, das sich mit der schrecklichsten Gestalt unter den Mormae auseinandersetzen musste, auch nicht leichter.
    Dennoch hatte sie es vollbracht. Sie wunderte sich selbst über die erstaunliche Klarheit ihrer Geiststimme während der Geistverbindungen, und aufgrund dieser Klarheit war sie imstande, als stellvertretende Hohepriesterin zu sprechen und die Göttin nacheinander mit ihren neuen Namen anzurufen, um Audiart förmlich zu befehlen, dass sie genau dort bleibe, wo sie war, nämlich in Gwen Ystrat, und keine weiteren Geistverbindungen initiieren solle. Sie selbst, Leila, hatte viel zu viel zu tun, als dass sie noch eine weitere von diesen Mitteilungen hätte zulassen können, welche die Kraft des Avarlith erschöpften.
    Und dann hatte sie die Geistverbindung abgebrochen.
    Das war letzte Nacht gewesen. Danach hatte sie nicht sehr gut geschlafen, ihre Träume waren wirr. In einem davon donnerte Audiart auf irgendeinem sechsfüßigen Ross über die breiten Landstraßen von Morvran zum Tempel, um sie mit kalten Flüchen aus Jahrtausenden zu treffen und zu bannen.
    Auch andere Träume waren durch ihren Schlaf gezogen, die nichts mit den Mormae zu tun hatten. Leila verstand nicht, wie ihr Bewusstsein arbeitete, woher ihre wirbelnden Vorahnungen kamen, aber sie begleiteten sie die ganze Nacht.
    Die meisten davon bezogen sich auf Finn, und das beunruhigte sie am meisten, da sie wusste, wer er wirklich war und mit wem er ritt.
     
    Darien war sich noch nicht einmal darüber im klaren, dass er zeitlos über Daniloth verharrt hatte. Seiner Meinung nach war er die ganze Zeit mit dem Dolch im Schnabel nach Norden geflogen. Als er das Schattenland verließ und über Andarien hervorkam, war es Abend und nicht Morgen, aber er kannte die Geographie dieser Gegend nicht, und deshalb machte er sich darüber auch keine Gedanken. Außerdem war es ohnehin schwierig, in der Eulengestalt klar zu denken, und er war inzwischen sehr müde geworden. Er war von Brennin zum Anor Lisen geflogen, hatte dann den Heiligen Hain durchquert, war von dort nach einer schlaflosen Nacht nach Daniloth weiter gezogen und dann noch einen ganzen

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