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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Augenblick kam es ihm nicht sehr bedeutend vor. Er wusste, dass er sich inzwischen daran hätte gewöhnen müssen: an dieses Gefühl einer latenten Macht ohne Kontrolle, das Gefühl, Macht innezuhaben, ohne sie zügeln zu können. Er erinnerte sich an Jaelles Worte auf dem Felsen, und es wurde ihm deutlich bewusst, dass sie recht hatte: Seine Schwierigkeiten resultierten aus seinem überdimensionalen Bedürfnis, die Dinge zu kontrollieren, und vor allem sich selbst.
    Das alles war wahr, es war vernünftig, er konnte es sogar verstehen. Aber deswegen fühlte er sich noch nicht besser. Nicht jetzt, wo sie der Entscheidung so nahe waren und noch nicht wussten, welchem Ende sie zusteuerten oder um welche Zukunft sie sich bemühten.
    »Er hat die Zwerge bei sich«, schrie der scharfäugige Brendel plötzlich.
    »Also das ist eine wirkliche Neuigkeit!« bemerkte Diarmuid schnell.
    »Dann hat Matt Erfolg gehabt!« rief Paul aus. »Siehst du ihn, Brendel?«
    Der silberhaarige Lios Alfar spähte auf die weit entfernte Armee. »Noch nicht«, murmelte er, »aber … ja. Sie muss sie sein! Die Seherin ist beim Großkönig. Niemand außer ihr hat weißes Haar.«
    Paul blickte schnell zu Jennifer hinüber. Und sie erwiderte seinen Blick und lächelte. Es war merkwürdig, dachte er, in gewisser Weise war es sogar das Merkwürdigste von allem, wie sie gleichzeitig so anders und fern sein konnte, so sehr Guinevere von Camelot, Arthurs Königin, Lancelots Geliebte, und dann einen Augenblick später mit der Schnelligkeit eines Lächelns wieder Jennifer Lowell, die vor Freude über Kimberlys Rückkehr strahlte.
    »Sollen wir um den See herumgehen, um ihnen entgegenzukommen?« fragte Arthur.
    Diarmuid schüttelte mit übertriebener Entschlossenheit den Kopf. »Sie haben Pferde«, erklärte er anzüglich, »und wir sind den ganzen Tag zu Fuß marschiert. Wenn Brendel sie sehen kann, dann können die Lios Alfar im Heer auch uns sehen. Wirklich, es gibt Grenzen: Wie lange soll ich noch über diese Felsen stolpern, um einen Bruder zu treffen, der es nicht der Mühe wert fand, auf mich zu warten!«
    Lancelot lachte. Paul blickte zu ihm hinüber und verspürte von neuem ein Gefühl der Ehrfurcht, gleichzeitig aber auch überkam ihn wieder einmal die Empfindung seiner eigenen frustrierenden Unfähigkeit.
    Lancelot hatte hier auf sie gewartet. Als sie vor zwei Stunden den Fluss aufwärts wanderten, hatte er geduldig unter den Bäumen gesessen. Mit der sanften Zurückhaltung, mit der er Guinevere und dann Arthur begrüßte, hatte Paul von neuem die Tiefen des Grams durchschaut, die diese drei Menschen aneinander banden. Es war nicht leicht, das mitanzusehen.
    Und dann hatte Lancelot knapp und ohne Ausschmückung davon erzählt, wie er in jener Nacht im Heiligen Hain mit dem Dämon um Dariens Leben gekämpft hatte. Er ließ es prosaisch und fast nebensächlich klingen. Aber alle, die hier versammelt waren, konnten die Fleischwunden und die Brandmale dieses Kampfes sehen, es war der Preis, den er bezahlt hatte.
    Wofür? Paul wusste es nicht. Niemand von ihnen wusste es, auch nicht Jennifer. Auch in ihren Augen hatte man nichts lesen können, als Lancelot berichtete, wie er die Eule in Daniloth befreite und zusah, als sie nach Norden flog: Es war der Zufallsfaden in diesem Kriegsgewebe.
    Und der Krieg schien nun unmittelbar über sie hereinzubrechen. Das Heer war bereits näher gekommen und umrundete die nordwestliche Spitze des Celynsees. Unter Diarmuids herber Leichtfertigkeit konnte Paul das Anwachsen einer fiebrigen Spannung erkennen: die Wiedervereinigung mit seinem Bruder, die Nähe des Kampfes. Jetzt konnten sie bereits einige Gestalten unterscheiden. Paul erkannte Aileron unter dem Banner des Großkönigtums und bemerkte dann, dass man die Flagge verändert hatte: Der Baum war noch immer vorhanden, jener Sommerbaum, nach dem er selbst benannt war, aber der Mond darüber war nicht mehr die silbrige Sichel von ehedem. Stattdessen zeigte sich der Mond über dem Baum als roter Vollmond, den Dana in einer Neumondnacht hatte scheinen lassen. Es war die Herausforderung der Göttin an Maugrim. Und diese Herausforderung trug Aileron jetzt hoch erhoben vor dem Heer des Lichtes.
    Und so ritt jene Armee um den See herum, und die Söhne Ailells trafen einander wieder an den Grenzen von Daniloth, im Norden des Celynflusses unter den breitblättrigen Ulmen und den silbernen und roten Blüten des Sylvain am Flussufer.
    Diarmuid und Sharra gingen Hand in

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