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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Auge reichte, sah man nur felsige Hügel und dürre, unbelebte Vertiefungen, und sie wusste, dass es bis zum Ungarchfluß immer so weiterging. Bis zur Valgrind-Brücke, die über diesen Fluss führte nach Starkadh, das auf der anderen Seite lag.
    Aber sie mussten auch nicht annähernd so weit reisen, denn nun geschah es.
    Sie waren unmittelbar hinter der Spitze des Heeres, ritten nur einige Schritte hinter Aileron und Ra-Tenniel, als sie einen langen, leicht ansteigenden Grat hinaufritten, hinter dem wieder eine andere düstere Senke liegen würde. Die Sonne hatte sich rot gefärbt und stand weit im Westen, ein leichter Wind war aufgekommen, die Dämmerung stand kurz bevor.
    Dann sahen sie, dass der voranreitende Herold, der bereits hinter dem Grat verschwunden war, plötzlich wieder zurückkehrte. Der Großkönig erreichte nun den höchsten Punkt der Erhebung. Er zügelte sein schwarzes Schlachtross und verharrte wie erstarrt an Ort und Stelle. Und als die vier, die nun zum ersten und zum einzigen Mal zusammen ritten, den Grat erreichten, blickten sie auf eine weite, steinige Ebene hinab und sahen das Heer der Finsternis.
    Die Ebene war riesig, sie war bei weitem das ausgedehnteste Gelände, das sie bisher in Andarien erreicht hatten, und Paul wusste, dass dies kein Zufall war. Und während er versuchte, seinen beschleunigten Herzschlag unter Kontrolle zu halten, begann er auch zu vermuten, dass es in ganz Andarien zwischen dem Ort, wo sie standen, und dem Eis keine größere Ebene gab. Und der Grat, wo sie sich jetzt befanden, von dem sie den sanften Abhang herabblickten, war die einzige abweichende Formation in all dem ebenen Land im Osten und Westen. Es würde eine Schlacht werden, wo Kraft auf Kraft prallte, wo man sich nicht verbergen oder irgendeinen Vorteil suchen konnte, wo nur die nackte Zahl entscheiden würde.
    Dort unten sahen sie ein Heer, das so riesig war, dass es den Geist betäubte. Man konnte es noch nicht einmal vollständig überblicken, und das war ein weiterer Punkt, warum diese Ebene ausgewählt worden war: Nirgendwo sonst hätten sich derartig vernichtende Mengen sammeln und sich, ohne einander zu behindern, frei bewegen können. Paul blickte auf und sah Hunderte von Schwänen, alle waren sie schwarz und zogen unheilkündend ihre Kreise über Rakoths Heer.
    »Gut gemacht, Teyrnon«, anerkannte der Großkönig ruhig. Paul wurde sich mit Schrecken bewusst, dass Aileron wie immer selbst auf so etwas vorbereitet zu sein schien. Der Magier hatte seine Kräfte verwendet, um nach vorne zu spüren. Aileron hatte erraten, dass das Heer sich in dieser Ebene aufhielt. Deshalb hatte er so entschieden abgelehnt, in der Nähe der Nebel des Schattenlandes das Lager aufzuschlagen.
    Noch während Paul mit Qual im Herzen auf das herabblickte, was da unten auf sie wartete, machte sich in ihm schnell ein Gefühl von Stolz auf den jungen Kriegskönig breit, der sie anführte. Ohne auch nur im geringsten die Ruhe zu verlieren, schätzte Aileron den Umfang des Heeres ab, das er auf irgendeine Weise besiegen musste. Seine Augen spähten unablässig über die Ebene unter ihnen, und ohne sich umzudrehen, begann er eine Reihe wohlüberlegter Anweisungen zu geben.
    »Sie werden uns heute Nacht nicht mehr angreifen«, versicherte er vertrauensvoll. »Sie werden nicht auf diesem Abhang gegen uns anreiten wollen. Und nachts verlieren sie auch den Vorteil der Schwanenaugen. Wir werden bei Sonnenaufgang kämpfen, meine Freunde. Ich wollte, ich hätte auch irgendeine Möglichkeit, aus der Luft zu kämpfen, aber leider … Teyrnon, ihr müsst meine Augen sein, solange du und Barak dazu imstande seid.«
    »Wir können das solange für dich tun, wie du es benötigst«, erwiderte der letzte Magier von Brennin.
    Paul bemerkte, dass Kim bei Ailerons letzten Worten bleich geworden war. Er versuchte, ihrem Blick zu begegnen, aber sie vermied es. Er hatte nicht die Zeit, um den Grund dafür zu erfahren.
    »Dabei können auch die Lios behilflich sein«, murmelte Ra-Tenniel. Noch immer war Musik in seiner Stimme, aber sie klang nicht mehr fein, nicht mehr besänftigend. »Ich kann die Scharfäugigen unter uns auf diesem Grat postieren, damit sie das Schlachtfeld im Auge behalten.«
    »Gut, lass sie gleich heute Nacht hier Wache halten«, wies ihn Aileron kurz an. »Sie werden auch morgen hier bleiben. Ivor, teile jedem der hier postierten Lios zwei Auberei zu, die ihre Botschaften hin- und hertragen.«
    »Ja«, bestätigte Ivor einfach.

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