Das Kind des Schattens
»Und meine Bogenschützen wissen, was sie zu tun haben, wenn die Schwäne zu tief fliegen.«
»Ich bin überzeugt, dass sie es wissen«, entgegnete Aileron grimmig. »Und ihr alle, teilt eure Männer für diese Nacht in drei Wachablösungen ein, und sie sollen ihre Waffen in der Hand behalten, wenn sie ruhen. Und am Morgen …«
»Warte«, unterbrach Diarmuid, der neben Paul stand. »Schau, wir scheinen einen Gast zu haben.« Sein Tonfall war ebenso mühelos leicht wie immer.
Er hatte nur allzu recht.
Das rote Licht des Sonnenuntergangs hob eine einzelne, riesige weißgekleidete Gestalt hervor, die sich aus der dichtgedrängten Masse des Heeres auf der Ebene gelöst hatte. Sie ritt auf einem der ungeheuerlichen sechsbeinigen Slaugs, lenkte seinen Weg über den steinigen Grund und hielt an einer Stelle an, die für die Beobachter auf dem Grat gerade außerhalb der Bogenschußweite lag.
Eine unnatürliche Stille senkte sich herab. Pauls Wahrnehmung war schmerzhaft scharf: Er fühlte den Abendwind, sah die Schräge der einfallenden Sonnenstrahlen und die Wolken, die sich über ihnen türmten. Etwas verzweifelt suchte er in sich nach dem Ort, der die Anwesenheit Mörnirs andeuten würde. Er fand ihn, aber er war dünn und hoffnungslos weit entfernt. Er schüttelte den Kopf.
»Uathach!« rief Dave Martyniuk plötzlich, er schnarrte es geradezu.
»Wer ist das?« fragte Aileron sehr ruhig.
»Er hat sie bei der Schlacht beim Adein angeführt«, erwiderte Ivor, und seine Stimme war dick vor Ekel. »Er ist ein Urgach, aber viel mehr als das. Rakoth hat irgend etwas mit ihm angestellt.«
Aileron nickte, sagte aber weiter nichts mehr.
Stattdessen sprach nun Uathach.
»Hört mich!« schrie er, und seine Stimme war ein zähflüssiges Heulen, so laut, dass es die Luft zu quetschen schien. »Ich heiße dich willkommen in Andarien, Großkönig von Brennin. Meine Freunde hinter mir sind hungrig, und ich habe ihnen für morgen Kriegerfleisch versprochen, und danach eine feinere Kost in Daniloth.« Er lachte, riesig und grausam stand er dort auf der Ebene, und die rote Sonne färbte das falsche Weiß seiner Kleidung.
Aileron gab keine Antwort, und auch außer ihm erhob niemand auf dem Grat seine Stimme. In finsterem und bedrücktem Schweigen, so steinig wie das Land, über das sie ritten, blickten sie auf den Führer von Rakoths Heer hinab.
Der Slaug bewegte sich ruhelos zur Seite. Uathach zügelte ihn bösartig, dann lachte er ein zweites Mal auf, und es lag etwas in diesem Lachen, was Paul bis in die Knochen erschaudern ließ.
Uathach sprach: »Ich habe den Svart Alfar für morgen Fleisch versprochen und für heute Abend Vergnügungen angeboten. Sagt mir, ihr Krieger von Brennin, von Daniloth, von den Dalrei und den verräterischen Zwergen, sagt mir, ob es unter euch einen gibt, der jetzt allein zu mir herabkommen will. Oder wollt ihr euch alle, wie die zarten Lios es tun, in den Schatten verbergen? In Anwesenheit dieser beiden Heere fordere ich euch heraus 1 . Gibt es einen unter euch, der die Herausforderung annimmt? Oder seid ihr alles Memmen vor meinem Schwert?«.
Nun kam Bewegung in die Menschen, die auf dem Grat standen. Paul sah, dass Dave sich mit zusammengepreßten Kiefern umdrehte und einen Blick auf den Sohn des Aven warf. Levons Hand zitterte, er hatte sein Schwert halb herausgezogen.
»Nein!« sagte Ivor dan Banor, und nicht nur zu seinem Sohn. »Ich habe den dort unten im Kampf gesehen. Wir können nicht gegen ihn kämpfen, und wir können es uns nicht leisten, auch nur einen Mann zu verlieren!«
Bevor noch jemand anders sprechen konnte, quoll von neuem Uathachs rohes Gelächter hervor, es war eine schleimige Klangflut. Er hatte es gehört.
Er brüllte: »Das habe ich mir vorgestellt. Dann lasst mich all diesen Tapferen auf dem Hügel noch eines sagen. Ich habe eine Botschaft von meinem Herrn.« Seine Stimme veränderte sich. Sie wurde kälter, weniger rau und dadurch noch erschreckender. »Vor etwas mehr als einem Jahr hat Rakoth an einer Frau, die sich bei euch befindet, Gefallen gefunden. Er würde sie gerne wiederhaben, denn sie war ihm ein williges Spielzeug, wie es selten vorkommt. Der schwarze Avaia ist jetzt bei mir, um sie auf meinen Befehl hin nach Starkadh zurückzubringen. Gibt es einen unter euch, der gegen mein Schwert Rakoths Anspruch auf ihr nacktes Fleisch bestreitet?«
Übelkeit stieg in Paul empor, die aus Ekel und einer schlimmen Vorahnung bestand.
»Mein Herr, Großkönig«,
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