Das Kind des Schattens
zu, und als sie ihr Pferd schräg nach vorne lenkte, wo Jennifer ritt, löste er sich von Ivors Seite und folgte ihr.
Sie musste Jennifer etwas mitteilen, und es war ihr nicht angenehm, vor allem wenn sie an die katastrophalen Folgen dachte, die sie ausgelöst hatte, indem sie Darien vor zwei Tagen zum Anor geschickt hatte. Trotzdem konnte sie es nicht umgehen und versuchte es auch nicht.
»Grüß dich«, wandte sie sich lebhaft und heiter ihrer engsten Freundin zu. »Sprichst du noch mit mir?«
Jennifer lächelte müde und lehnte sich in ihrem Sattel nach hinten, um Kim auf die Wange zu küssen. »Sei nicht albern«, erwiderte sie.
»So albern ist es nicht, du warst ganz schön zornig.«
Jennifer senkte ihren Blick. »Ich weiß, es tut mir leid.« Sie hielt inne. »Ich wollte, ich könnte besser erklären, warum ich das tue, was ich tue.«
»Du wolltest, dass wir ihn in Ruhe lassen. Ist das so schwer zu verstehen?«
Jennifer blickte wieder auf. »Wir müssen ihn in Ruhe lassen«, fuhr sie ruhig fort. »Hätte ich versucht, ihn zu binden, hätten wir niemals erfahren, wer er wirklich ist. Jeden Augenblick hätte er sich verändern können. Niemals hätten wir sicher sein können, was er im nächsten Augenblick tun würde.«
»So sicher sind wir auch jetzt nicht«, widersprach Kim bedeutend schärfer, als sie beabsichtigt hatte.
»Ich weiß es«, erwiderte Jennifer. »Aber zumindest wird er es frei tun, was auch immer er unternimmt. Es wird seine eigene Wahl sein. Ich glaube, dass es eigentlich nur darum geht, Kim, ich glaube, dass es so sein muss.«
»Wäre es denn so schrecklich gewesen«, fragte Kim unklugerweise, aber sie konnte die Frage nicht zurückhalten, »wäre es denn so schrecklich gewesen, wenn du ihm einfach gesagt hättest, dass du ihn liebst?«
Jennifer wich ihrem Blick nicht aus, aber ebenso wenig geriet sie in Wut. »Ich habe es«, antwortete sie sanft, und in ihrer Stimme lag ein leises Erstaunen. »Ich habe es ihn wissen lassen. Du kannst das sicher verstehen. Ich habe ihm die Freiheit gelassen, seine eigene Wahl zu treffen. Ich … habe ihm vertraut.«
»Gar nicht so schlecht«, mischte sich Paul Schafer ein. Sie hatten nicht gehört, dass er zu ihnen aufgeholt hatte. »Du warst die einzige von uns, die Vertrauen zu ihm hatte«, fügte er hinzu. »Alle anderen haben immer nur versucht, ihm zu schmeicheln oder ihn zu verändern, einschließlich ich selbst … Als ich ihn zum Götterwald brachte.«
»Weißt du«, fragte Jennifer plötzlich, »warum der Weber die Wilde Jagd geschaffen hat? Weißt du, was Owein bedeutet?«
Paul schüttelte den Kopf.
»Erinnere mich daran, dass ich es dir erkläre, wenn wir dazu noch Zeit haben«, sagte sie. »Auch du«, ergänzte sie, indem sie sich an Kim wandte. »Ich glaube, es könnte euch helfen zu verstehen.«
Kim schwieg. Sie wusste wirklich nicht, wie sie hätte antworten können. Diese ganze Geschichte mit Darien war zu schwierig, und seit gestern Nacht am Calor Diman, wo sie sich geweigert hatte, den Drachen zu binden, traute sie selbst ihren eigenen Instinkten nicht mehr. Außerdem hatte sie keine Konfrontation mit Jennifer gesucht, als sie herangeritten war.
Sie seufzte. »Du hast das Recht, mich zu hassen«, räumte sie ein. »Ich habe mich wieder eingemischt, fürchte ich.«
Aber Jennifers grüne Augen blieben ruhig. »Ich kann es mir denken«, gab sie zu. »Du hast Aileron und den anderen über Darien erzählt.«
Kim zwinkerte. Es musste komisch ausgesehen haben, denn Dave grinste plötzlich, und Jennifer lehnte sich herüber und tätschelte ihre Hand.
»Ich dachte, dass du es vielleicht tun würdest«, fuhr Jen fort.
»Und ich gebe zu, dass du recht damit hattest. Inzwischen muss er es ja wissen. Arthur hat es mir gestern Abend auf dem Schiff gesagt. Ich hätte selbst mit ihm darüber gesprochen, wenn du es nicht getan hättest. Vielleicht hat es Einfluss auf seine Pläne, ich weiß jedoch nicht in welcher Weise.« Sie hielt inne und fügte dann mit veränderter Stimme hinzu: »Verstehst du denn nicht? Das Geheimnis ist jetzt nicht mehr wichtig. Niemand von ihnen kann ihn jetzt mehr zurückhalten, was immer er auch tun will … Lancelot hat ihn gestern morgen aus Daniloth befreit. Er ist jetzt weit im Norden von uns.«
Unwillkürlich ließ Kim ihren Blick über das Land streichen, das sich vor ihnen ausdehnte. Sie sah, dass Dave Martyniuk es ebenfalls tat. Andarien lag wüst und leer im Licht des späten Nachmittags. Soweit das
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