Das Kind des Schattens
Galadan hatte an anderes zu denken.
Und in seiner menschlichen Gestalt konnte er klarere Gedanken fassen. So hatte er sich kurz vor der Dämmerung verwandelt und sich einen der Slaug unterworfen, obwohl er sie hasste. Im Schritt ließ er das Heer im Morgengrauen an sich vorüberziehen und achtete darauf, dass Uathach ihn noch nicht bemerkte.
Er hatte nicht die geringste Angst vor dem weißen Uathach, aber er wusste zu wenig über ihn, und für den Wolfsfürsten war Wissen immer der Schlüssel zur Macht. Er war ziemlich sicher, dass er Uathach töten könnte, aber das interessierte ihn so gut wie gar nicht. Wichtig war zu verstehen, was ihn zu dem gemacht hatte, was er war. Vor sechs Monaten war Uathach nach Starkadh gerufen worden, er war weiter nichts als ein übergroßer Urgach, er war ebenso dumm wie alle anderen, aber vielleicht ein wenig gefährlicher aufgrund seiner Schnelligkeit und seiner Größe.
Vor vier Nächten war er wieder hervorgekommen, und irgendwie war es beunruhigend, auf welche Weise sich dies abspielte. Er war inzwischen intelligent, bösartig und selbstbewusst geworden, und außerdem hatte ihn Rakoth in Weiß gekleidet. Dies war ein Umstand, den Galadan schätzte, es erinnerte ihn an Lauriel, jene Schwanfrau, welche die Lios geliebt hatten. Uathach hatte den Oberbefehl über das Heer erhalten, das über die Valgrindbrücke hinauszog. Dies hatte Galadan, zumindest anfänglich, nicht gestört.
Der Wolfsfürst selbst war fern gewesen, er war beschäftigt mit Aufgaben, die er sich selbst gestellt hatte. Mit dem Wissen, das ihm zu eigen war – denn als Sohn eines Gottes gehörte er zu den Andain, und zudem war er höchst scharfsinnig –, hatte er den Angriff auf die Paraiko in Kath Meigol ersonnen und angeführt.
Wenn man es Angriff nennen konnte. Dem innersten Wesen gemäß waren den Riesen Zorn oder Gewalt fremd. Auf Krieg reagierten sie nicht einmal, nur eines war beunruhigend: Wenn ihr Blut vergossen wurde, konnten die Riesen jeden beliebigen Fluch auf die Angreifer herabbeschwören. Das war also die eigentliche Wahrheit, die wörtliche Wirkung des Blutfluches … was aber nichts zu tun hatte mit dem Aberglauben an streunende, eingesperrte Geister, die Kath Meigol heimsuchten. Daran hatte sich der Wolfsfürst während der Tage, die er dort verbrachte, ständig erinnert, während die Paraiko wie hilflose Schafe von den Svarts und Urgachs in ihren Höhlen eingepfercht wurden und den tödlichen Rauch der Feuer einatmen mussten, die er schlauerweise hatte anzünden lassen.
Er war nur wenige Tage dort geblieben, aber der wirkliche Grund dafür blieb sein Geheimnis. Er hatte versucht, sich selbst davon zu überzeugen, wovon er zu den anderen, die er zurückließ, gesprochen hatte, dass nämlich sein Aufbruch durch die Erfordernisse des Krieges diktiert war … Aber er hatte zu lange gelebt und zuviel geforscht, um sich selbst wirklich betrügen zu können.
Die Wahrheit war, dass die Paraiko ihn auf irgendeine unbewußte Weise, die sein Verstand nicht fassen konnte, tief beunruhigten. Irgendwie lagen sie in seinem Weg, sie waren riesige Hindernisse für sein einziges unendliches Verlangen, das Verlangen nach äußerster und vollkommener Vernichtung. Er wusste nicht, wie sie ihm zu widerstehen vermochten, denn im Innersten ihres Wesens waren sie friedlich, und trotzdem brachten sie ihn aus der Fassung, bereiteten ihm Unbehagen, was mit der einzigen Ausnahme seines Vaters niemandem in Fionavar noch in irgendeiner anderen Welt gelang.
Da er also Cernan von den Tieren nicht töten konnte, machte er sich daran, die Paraiko in ihren Berghöhlen zu vernichten. Als die Feuer richtig brannten und die Svarts und Urgach unablässig darauf aufmerksam gemacht wurden, dass sie kein Blut zu vergießen brauchten (als ob man sie daran hätte erinnern müssen, denn selbst die dummen Svarts lebten in abgrundtiefem Schrecken vor dem Blutfluch), hatte Galadan sich aus der bitteren Kälte der Berge und vor den unaufhörlichen Gesängen, die aus den Höhlen kamen, zurückgezogen. Als der Schnee zu seinem Schrecken schmolz, war er im Osten von Gwynir gewesen. Sofort hatte er begonnen, seine Wölfe in den immergrünen Wäldern zusammenzuziehen, und wartete auf den Befehl zum Angriff. Gerade hatte er zur Kenntnis genommen, dass sein Heeresteil in Leinanwald vom Großkönig hingeschlachtet worden war, als Avaia selbst in aller Herrlichkeit und Bosheit herabgeschwebt war und ihm zuzischte, dass ein Heer über die
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