Das Kind des Schattens
hinüber, umarmte die Priesterin und gab ihr einen schnellen Kuss auf die Wange. Einen Augenblick lang stand Jaelle starr und reglos, dann umarmte sie Kim etwas unbeholfen, es war eine flüchtige Geste, die dennoch viel bedeutete.
Kim trat zurück. Sie wusste, dass ihre Augen rot vom Weinen waren. Aber bei Jaelle war es nutzlos, irgend etwas zu verbergen. Sie würde Hilfe brauchen, und nicht zuletzt um zu entscheiden, was sie tun müsste.
»Ich freue mich, dass du hier bist«, sagte sie ruhig. »Wie hast du es erfahren?«
»Leila«, antwortete Jaelle, »sie ist noch immer mit diesem Cottage verbunden, wo Finn gewohnt hat. Sie hat uns hinterbracht, dass du hier bist.«
Kim nickte. »Und sonst, hat sie sonst etwas gesagt?«
»Heute morgen nicht. Ist etwas passiert?«
»Ja«, flüsterte Kim. »Es ist etwas geschehen. Wir haben uns gegenseitig viel mitzuteilen. Wo ist Jennifer?«
Die beiden anderen Frauen tauschten einen Blick aus. Und dann antwortete Sharra: »Sie ist mit Brendel zum Anor Lisen gefahren, mit dem Schiff.«
Kim schloss ihre Augen. So viele Dimensionen des Kummers. Würde es denn nie ein Ende geben?
»Möchtest du ins Cottage gehen?« fragte Jaelle.
Schnell schüttelte sie den Kopf. »Nein. Nicht nach drinnen. Bleiben wir draußen.« Jaelle sah sie forschend an, raffte dann umstandslos ihr weißes Gewand und setzte sich an dem steinigen Ufer nieder. Kim und Sharra folgten ihrem Beispiel. In geringer Entfernung standen die Männer aus Cathal und Brennin und sahen aufmerksam zu. Tegid von Rhoden, prunkvoll in Braun und Gold gekleidet, ging auf die drei zu.
»Meine Herrin«, wandte er sich mit einer tiefen Verbeugung an Sharra, »wie kann ich Euch im Namen meines Prinzen dienen?«
»Essen«, antwortete sie schroff. »Ein reines Tuch und eine Mahlzeit darauf.«
»Sofort!« rief er aus und verbeugte sich von neuem, wobei er allerdings auf den lockeren Steinen des Ufers nicht ganz sicher stand. Er drehte sich um und schlurfte zurück, um die Verpflegung zu bringen. Sharra warf einen Seitenblick auf Kim, die in offener Neugier eine Augenbraue gehoben hatte.
»Eine neue Eroberung?« fragte Kim in ihrem früheren schalkhaften Ton, den sie schon für immer und ewig verloren geglaubt hatte.
Zu ihrer Überraschung errötete Sharra. »Na ja, ich glaube schon. Aber nicht er … Bevor die Prydwen abfuhr, hat Diarmuid um meine Hand angehalten. Tegid ist sein Brautwerber. Er kümmert sich um mich, und deshalb …«
Weiter kam sie nicht, da sie in einer zweiten heftigen Umarmung versank. »O Sharra!« rief Kim aus. »Das ist die schönste Nachricht, die ich seit langer Zeit gehört habe!«
»Ich glaube es«, murmelte Jaelle trocken, »aber ich dachte, wir hätten wichtigere Dinge zu erörtern, als Eheaufgebote. Und wir haben noch immer keine Nachricht vom Schiff.«
»Doch«, versicherte Kim schnell. »Wir wissen, dass sie dort angekommen sind, und wir wissen, dass sie eine Schlacht gewonnen haben.«
»Oh, Dana sei gelobt«, jubelte Jaelle, die auf einmal sehr jung klang, ihr ganzer Zynismus schien von ihr abgefallen. Sharra war sprachlos. »Erzähle«, bat die Hohepriesterin. »Woher weißt du es?«
Kim begann ihren Bericht mit ihrer Gefangennahme in den Bergen: mit Ceriog, Faebur, Dalreidan und dem Todesregen über Eridu, dann erzählte sie ihnen, wie sie gesehen hatte, dass der gefürchtete Regen aufgehört hatte, dass sie im Osten die Sonne hatte scheinen sehen und deshalb gewusst hatte, dass Metran auf Cader Sedat aufgehalten worden war.
Sie hielt einen Augenblick inne, denn Tegid war zurückgekommen, gefolgt von zwei Soldaten, die mit Speisen und Getränken beladen waren. Einige Augenblicke später war die Mahlzeit so aufgetragen, dass sie auch in den kritischen Augen der Prinzessin von Cathal würdig war. Als sich die drei Männer wieder zurückgezogen hatten, holte Kim tief Atem und erzählte von Kath Meigol, von Tabor, von Imrait-Nimphais, von der Rettung der Paraiko und ihrem letzten Kanior, und dann schließlich ganz leise, was sie und ihr Ring bei den Riesen bewirkt hatten. Als sie zu Ende kam, war es am Ufer wieder ruhig. Keine der beiden anderen Frauen sprach. Beiden war der Umgang mit der Macht in vielen Nuancen vertraut, das wusste Kim, aber was sie ihnen jetzt über ihre Taten erzählt hatte, musste ihnen fremd und fast unbegreiflich sein.
Sie fühlte sich sehr einsam. Vielleicht hätte Paul sie verstanden, denn auch er ging einen einsamen Weg. Aber als ob sie ihre Gedanken gelesen
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