Das Kind des Schattens
dunklen Augen trafen sich eine Weile mit Teyrnons Blick, während ein leichter Abendwind die Gräser der Ebene bewegte.
Niemand anderer sprach während der kurzen Unterbrechung, bis Aileron, der noch immer auf Teyrnon blickte, fortfuhr: »Wir können nicht warten. Wir werden jetzt gleich nach Norden in Richtung Gwynir ziehen, und nicht, wie geplant, erst am Morgen. Wir haben noch mindestens drei Stunden Licht, um zu reiten.« Er erklärte Niavin und dem Magier rasch, was in der Schlacht vor zwei Nächten geschehen war. »Wir haben einen Vorteil erlangt«, führte er grimmig aus, »aber wir haben es nicht selbst geschafft, sondern nur durch Oweins Schwert und Ceinwens Eingreifen. Diesen Vorteil müssen wir jetzt für uns nutzen, während das Heer von Maugrim noch desorganisiert und verängstigt ist. Der Weber weiß, was ich darum geben würde, Loren und die Seherin in diesem Augenblick bei uns zu haben, aber wir können nicht warten. Teyrnon von Seresh, willst du in den Schlachten, die vor uns liegen, als mein Erster Magier wirken?«
Niemals war er so ehrgeizig gewesen, niemals hatte er seine Ziele auch nur halb so hoch gesteckt. Als er noch jünger war, war er als Versager ausgelacht worden und erst, als die Jahre vergingen, nach und nach akzeptiert und geduldet worden: Teyrnon war, was er war, so sagte ein jeder und lächelte dabei. Er war intelligent und zuverlässig, sehr oft hatte er nützliche Einsichten in wichtige Dinge. Aber der dickbäuchige, immer zu einem Lächeln aufgelegte Magier war niemals, nicht einmal in Friedenszeiten für bedeutend gehalten worden, und deshalb war er auch selbst nicht auf diese Idee gekommen. Metran und Loren, das waren die Magier, auf die es ankam.
Er war damit zufrieden, er hatte seine Bücher und seine Studien gehabt, die ihm wichtig waren. Er hatte die Annehmlichkeiten genossen, die den Magiern in ihren Unterkünften in der Hauptstadt zustanden: Diener, gutes Essen und Trinken, Gesellschaft. Er hatte auch die Privilegien seines Ranges, seiner Macht und das Prestige, das damit einherging, durchaus als angenehm empfunden. Nicht wenige Damen von Ailells Hof hatten den Weg zu seinem Schlafgemach gefunden oder ihn in ihre eigenen parfümierten Kammern eingeladen, während sie auf einen kurzbeinigen Gelehrten keine zwei Blicke geworfen hätten. Seine Aufgaben als Magier hatte er trotz seiner Gutmütigkeit ernst genommen, er und Barak hatten ihre Pflichten in Friedenszeiten ruhig und ohne Aufsehen erfüllt, sie hatten unauffällig als Puffer zwischen den anderen beiden Mitgliedern des Rates der Magier gedient. Auch das hatte ihn niemals gestört. Wenn man ihn in den letzen Jahren von Ailells Herrschaft, bevor die Trockenheit gekommen war, gefragt hätte, so hätte er seinen eigenen Faden auf dem Webstuhl unter denen gezählt, auf denen die Güte des Webers am hellsten leuchtete.
Aber die Trockenheit war gekommen, der Rangat hatte in Flammen gestanden, und Metran, der einst weise und scharfsinnig war, hatte sich als Verräter erwiesen. Und deshalb mussten sie jetzt gegen die entfesselte Macht von Rakoth Maugrim kämpfen, und plötzlich war er, Teyrnon, der Erste Magier des Großkönigs von Brennin.
Er war aber auch der einzige Magier in Fionavar … das hatte ihm eine ständig wiederkehrende, unausgesprochene Vorahnung im fernsten Winkel seines Bewusstseins seit gestern morgen immer wieder mitgeteilt.
Seit gestern morgen, als der Kessel von Kath Meigol zerstört worden war. Darüber wusste er nichts Bestimmtes, er wusste nichts über die Konsequenzen dieses Geschehens, er hatte nur diese ferne Ahnung, die so vage und erschreckend war, dass er es ablehnte, von ihr zu sprechen oder ihr auch nur einen greifbaren Namen in seinem Bewusstsein zu verleihen.
Das einzige Gefühl, das er empfand, war Einsamkeit.
Die Sonne war untergegangen, der Regen hatte aufgehört, und die Wolken trieben nach Norden und Osten hinweg. Der Himmel im Westen glühte noch in den letzten Tönen des Sonnenunterganges. Aber auf dem Strand am Anor Lisen dunkelte es bereits, als Loren Silbermantel die Geschichte, die er zu erzählen hatte, beendete.
Als er damit fertig war, als seine ruhige, traurige Stimme zu Ende gekommen war, hörten alle, die auf dem Strand versammelt waren, wie Brendel von den Lios Alfar um die Seelen aus seinem Volke weinte, die auf der Fahrt zu ihrem Lied erschlagen worden waren. Jennifer saß auf dem Sand, sie hielt Arthurs Kopf in ihrem Schoß, und sie sah, wie sich Diarmuids
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