Das Kind des Schattens
ausdrucksvolle Gesichtszüge schmerzlich verzogen und wie er sich dann von der knienden Gestalt des Lios abwandte und Sharra von Cathal in seine Arme schloss. Es geschah nicht mit Leidenschaft oder Verlangen, sondern mit einer unerwarteten Verletzlichkeit, Trost zu suchen.
Auch auf ihren Wangen standen Tränen. Sie rannen immerfort, auch wenn sie sie wegwischte, sie grämte sich um ihren Freund und sein Volk. Als sie dann hinabschaute, wurde sie gewahr, dass Arthur wach geworden war und zu ihr zurückblickte, plötzlich sah sie sich in seinen Augen reflektiert. Über ihr Spiegelbild fiel ein einzelner, sehr heller Stern.
Langsam hob er die Hand und berührte die Wange, an der Lancelots Hand gelegen hatte.
»Willkommen zu Hause, mein Geliebter«, begrüßte sie ihn, noch immer den herzzerreißenden Kummer des Lios Alfar in den Ohren, der sie an diesen Platz geführt hatte, und gleichzeitig hörte sie im Geist das unerbittliche, geduldige Wandern der Weberschiffchen auf dem Webstuhl. »Ich habe ihn weggeschickt«, erklärte sie und empfand ihre eigenen Worte, als seien sie Kette und Schuss im Gewittersturm, der sich gerade gelegt hatte. Wieder entfaltete sich die Geschichte, wieder kreuzten sich die Fäden.
Arthur schloss seine Augen. »Warum?« fragte er tonlos.
»Aus demselben Grund, aus dem du ihn zurückgebracht hast«, antwortete sie. Und als er dann wieder zu ihr aufsah, verletzte sie ihn ebenso, wie sie Lancelot verletzt hatte, weil es geschehen musste und damit sie es hinter sich brachte, denn auch er hatte ein Recht zu wissen.
Und so erzählte Guinevere, die in Camelot kinderlos gewesen war, Arthur über Danen. Und am Westhimmel verschwand das Licht, die ersten Sterne erschienen über ihnen. Als sie zu Ende war, verstummte auch Brendels leises Weinen.
Nur wenig über dem Meereshorizont strahlte im Westen ein Stern, heller als alle anderen am Himmel, und alle, die auf dem Strand versammelt waren, sahen zu, wie der Lios Alfar aufstand und sich diesem Stern zuwandte. Lange Zeit blieb er ruhig stehen, dann hielt er beide Hände in die Höhe, breitete die Arme aus und erhob die Stimme, um ein Lied der Beschwörung zu singen.
Zuerst klang es rau, denn erdrückend schwer war die Bürde seines Kummers, aber mit jedem Wort, jedem dargebrachten Ton wurde der Gesang immer kristallklarer und Na-Brendel von der Kestrel Marlk von Daniloth nahm das bleierne Gewicht seiner Traurigkeit auf sich und verwandelte es wie in alchimischer Wandlung in die schmerzvoll schönen, zeitlosen Noten von Ra-Termaines Klage um die Verlorenen. Er sang es, wie es in tausend Jahren niemals zuvor gesungen worden war, selbst nicht von denen, die es geschaffen hatten. Und so machte er auf jenem Strand unter all den leuchtenden Sternen seine eigene silbrig schimmernde Schöpfung aus dem Unrecht, das den Kindern des Lichts angetan worden war.
Als einzige all derer, die jetzt am Anor standen, konnte Kimberly aus der klar destillierten Klage, die Brendel sang, keinen Trost, keine Linderung ihres Schmerzes finden. Sie nahm seine Schönheit auf, verstand die Erhabenheit dessen, was der Lios Alfar tat, und fühlte sich dadurch sogar gedemütigt. Sie wusste, wie stark die heilende Kraft der Musik war. Sie konnte sie selbst in den Gesichtern derer, die neben ihr standen, wirken sehen. Selbst bei Jennifer, Arthur und der strengen kalten Jaelle. Sie alle lauschten Brendels Seele in seiner Stimme, die sich zu den kreisenden Sternen, zum dunklen Wald und zum weiten Meer erhob. Aber ihre Schuld und Selbstzerfleischung war bereits zu weit vorangeschritten, als dass diese Linderung sie noch hätte erreichen können. Musste denn alles, was sie berührte, alles, was in den glühende Bannkreis ihres Ringes geriet, durch ihre Gegenwart verdreht und zerrissen werden? In ihrer eigenen Welt war sie eine Heilerin gewesen! Musste sie denen, die sie liebte, nichts als Schmerz bringen? Denen, die sie brauchten?
Nichts als Schmerz. Von der Anrufung Tabors, der Korrumpierung der Paraiko gestern Nacht bis zu ihrer grausamen Misshandlung Dariens heute morgen und dann wieder heute Abend … als sie nicht rechtzeitig eingetroffen war, um Jennifer zu warnen. Und am bittersten von allem war es dann, dass sie den Eid gebrochen hatte, den sie auf dem Glastonbury Tor geschworen hatte. War der Anteil des Kriegers am Gram der Welt noch nicht groß genug, hatte sie sich wütend gefragt, musste sie ihn noch vergrößern, indem sie den schrecklichen Namen, dem zu folgen er
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