Das Kind des Schattens
lauschte, als Jaelle ohne ihre übliche Arroganz erzählte, wie Leila Oweins Horn vernommen hatte wie sie durch Finns Anwesenheit dort das Schlachtfeld gesehen hatte, und wie dann alle Frauen im Tempel gehört hatten, wie Ceinwen dazwischentrat. »In der Nacht, als die Prydwen in See stach, ist der Großkönig, dem Rufglas folgend, nach Norden geritten«, schloss sie. »Sie werden wohl inzwischen alle auf der Ebene sein. Ich weiß allerdings nicht, was sie tun werden. Vielleicht kann sich Loren für Teyrnon öffnen und uns diese Frage beantworten.«
Es war das erste Mal, erinnerte sich Kim, dass die Hohepriesterin sich in dieser Weise an den Magier wandte.
Einen Augenblick später erfuhr sie dann, dass Loren kein Magier mehr war, und noch während er die Geschichte erzählte, begann der Ring auf ihrem Finger zu glühen, das Leben kehrte in ihn zurück. Sie blickte auf ihn hinunter und kämpfte hart gegen die inzwischen instinktive Aversion, die sie empfand, und als Loren und dann Diarmuid von Cader Sedat sprachen, begann sich in ihrem Geist ein Bild zu verdichten.
Es war ein Bild, an das sie sich erinnern konnte, es war die erste Vision, die sie gehabt hatte, als sie in Fionavar zu Ysannes See gegangen war: die Vision eines anderen Sees, der hoch in den Bergen lag, über den Adler einherflogen.
Loren sagte ruhig: »Es scheint, dass der Kreis sich nun schließt. Es ist nun meine Aufgabe, mit Matt nach Banir Lök zu gehen und ihm dabei zu helfen, die Krone, die er niemals wirklich verloren hat, wiederzugewinnen. Dann können die Zwerge vom Rande der Finsternis zurückgeholt werden.«
»Wir haben einen langen Weg vor uns«, stellte Matt Sören fest, »und nicht viel Zeit. Wir werden heute Nacht aufbrechen müssen.« Er klang genau wie immer. Kim hatte das Gefühl, dass nichts, aber auch gar nichts ihn jemals verändern würde: Er war und blieb der Fels, auf dem sie alle, wie es schien, irgendwann einmal geruht hatten.
Sie blickte auf Jennifer und sah denselben Gedanken in ihrem Gesicht. Dann schaute sie wieder auf den Baelrath und warnte: »Ihr werdet nicht rechtzeitig dort ankommen.«
Selbst jetzt, nach allem, was geschehen war, senkte sich über die Menschen am Strand ein augenblickliches Schweigen, ein Schweigen voll tiefer Demut. Die Seherin in ihr hatte gesprochen. Als sie wieder aufblickte, traf sie Matt Sörens Augen.
»Ich muss es versuchen«, beharrte er einfach.
»Ich weiß«, antwortete sie, »und auch Loren hat, glaube ich, recht. Irgendwie ist es wichtig, dass du es versuchst. Aber ich kann dir sagen, dass du von diesem Ort aus nicht rechtzeitig dort ankommen wirst.«
»Wie meinst du das?« Es war Diarmuid, der nun fragte, und seine Stimme klang ebenso direkt wie die von Jaelle, ohne Verzierung und ohne Hintersinn.
Kim hielt ihre Hand hoch, so dass sie alle das Flackern sehen konnten. »Ich meine, dass auch ich dorthin gehen muss. Der Baelrath wird uns alle dorthin führen müssen. Und ich glaube, dass alle von uns inzwischen auch wissen, dass der Kriegsstein bestenfalls ein halber Segen ist.« Sie bemühte sich sehr, die Bitterkeit aus ihrer Stimme zu halten. Fast gelang es ihr auch. Aber in der nun folgenden Stille fragte jemand: »Kim, was ist in den Bergen geschehen?«
Sie wandte sich Paul Schafer zu, der diese Frage gestellt hatte. Immer schien er es zu sein, der jene Fragen aufwarf, die unter die Haut gingen. Sie blickte zuerst auf ihn, dann auf Loren, der neben ihm stand und sie mit einer Mischung von Strenge und Freundlichkeit ansah. So war es von Anfang an gewesen und dann am deutlichsten in jener Nacht, die sie gemeinsam im Tempel verbracht hatten, bevor Kevin gestorben war. Und … bevor sie nach Kath Meigol gegangen war.
Ihnen beiden also, die sich so sehr von einander unterschieden und sich in einer unerklärlichen Weise doch so ähnelten, erzählte sie, wie sie die Paraiko gerettet hatte und was dann gefolgt war. Alle hörten es, alle mussten es erfahren, aber sie sprach nur zu Loren und Paul. Und zu Matt, an den sie sich am Ende noch wandte, um zu wiederholen: »Und du verstehst, was ich damit meine: Welchen Segen auch immer ich trage, er ist nicht ungetrübt.«
Einen Augenblick lang blickte er sie an, als denke er darüber nach. Dann veränderte sich sein Ausdruck, sein Mund verzog sich zu einer Grimasse, was, wie sie wusste, seine Art zu lächeln war, und er sagte schlau: »Keine Klinge, die ich jemals kannte und die irgend etwas wert war, hatte nur eine Schneide.« Das war
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