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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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alles, aber sie wusste, dass diese ruhigen Worte eine Rückversicherung darstellten, die sie dringend brauchte, und auf die sie ein Recht hatte.
     
    Die Hohepriesterin der Dana war hin- und hergerissen zwischen ihrer Ausbildung und ihrer Neigung. Jaelle fröstelte im Regen, und sie war bis ins Mark erfroren durch das, was sie mit Darien erlebt hatte, und das, was seit dem Schiffbruch geschah. Aber von all ihrer Furcht zeigte sie niemandem auf dem Strand auch nur die geringste Spur.
    Sie war, wie sie war, und wusste deshalb, dass es Mörnirs Stimme gewesen war, die durch ihren Donnerklang die Wellen beruhigt hatte, und deshalb hatte sie als ersten von allen Pwyll angesehen, als er an Land kam. Sie erinnerte sich, wie er an einem anderen Strand weit im Süden stand und in gefährlichem Licht, das nicht vom Mond herrührte, mit Liranan sprach. Aber er war noch am Leben und war zurückgekommen. Sie vermutete, dass er darüber erfreut war.
    Alle waren sie, wie es schien, zurückgekehrt, aber irgend etwas an ihnen war neu, und aus Jennifers Gesicht zu schließen, war es nicht schwierig zu sagen, wer oder was das war.
    Sie hatte sich den Anschein von Kälte und Härte gegeben, aber sie war nicht aus Stein, sosehr sie es auch versuchte. Sie war gleichermaßen von Mitleid und Staunen erfüllt, als sie Guinevere und Lancelot gemeinsam im Regen stehen sah, während die untergehende Sonne durch die verschwindenden Wolken tief im Westen schräge Strahlen sandte.
    Sie hatte nicht gehört, was sie einander gesagt hatten, aber ihre Gebärdensprache war deutlich, und als sich der Mann am Ende allein in den Wald entfernte, war Jaelle – für sie selbst unerwartet – bedrückt.
    Sie sah ihn gehen, und da sie die Geschichte kannte, war es leicht zu erraten, mit welcher Forderung Guinevere ihren zweiten Geliebten jetzt von sich schickte. Es war schwierig geworden, das nötige, distanzierte Auftreten zu bewahren … angesichts so vieler Männer und im turbulenten Gefolge der Geschehnisse im Tempel, bevor sie Kim und Sharra mit Blut und der angezapften Erdwurzel weggetragen hatte.
    Sie hatte die Mormae in Gwen Ystrat gebraucht, um eine so starke Magie zu erzeugen, und das bedeutete, dass sie sich auch mit Audiart befassen musste, was niemals angenehm war. Meistens konnte sie es ohne wirkliche Probleme schaffen, aber der Austausch, der an diesem Nachmittag stattgefunden hatte, war anders gewesen.
    Sie war auf zweifelhaftem Grund gestanden, sie hatte es gewusst und Audiart ebenfalls. Für die Hohepriesterin war es nicht nur ungewöhnlich, sondern fast schon eine mögliche Übertretung, den Tempel … und das Königreich … selbst zu einer Zeit wie der gegenwärtigen zu verlassen. Es war ihre heilige Pflicht, so erinnerte Audiart sie mittels geistiger Verbindung, an der die Mormae auch teilhatten, im Heiligtum zu verbleiben und sich bereitzuhalten, die Bedürfnisse der Mutter zu erfüllen. Und außerdem: Hatte nicht der Großkönig sie beauftragt, in Paras Derval zu bleiben und das Land zusammen mit dem Kanzler zu verwalten? War es nicht ihre weitere Pflicht, diese unerwartete Gelegenheit bestmöglich auszunutzen, um Danas Priorität im Großkönigtum wieder herzustellen, wie sie es beständig und standhaft immer schon angestrebt hatte?
    Unglücklicherweise war dies alles wahr und ihre Untergebene, Audiart, hatte keine Hemmungen, sie darauf hinzuweisen. Sie wusste keine Antwort darauf, als sich auf ihren höheren Rang zu berufen, und das war nicht das erste Mal. Ohne falsche Tatsachen vorzutäuschen, hatte sie mit der Unbehaglichkeit und Unruhe argumentiert, die sie im Tempel empfunden hatte, und ohne sich aufzuplustern, hatte sie den Mormae mitgeteilt, dass es die Entscheidung als Hohepriesterin war, den Tempel jetzt zu verlassen, und dass das mit dem Willen Danas geschehe … Und Danas Wille sei allen Traditionen oder günstigen Gelegenheiten übergeordnet.
    Außerdem gab es auch eine wirkliche Dringlichkeit, das hatte sie an Kims weißem Gesicht und ihren ineinander gekrampften Händen gesehen, als sie voller Spannung zusammen mit Sharra unter dem Kuppelgewölbe wartete und die Ablösung der Priesterinnen überhaupt nicht beachtete. Auch das hatte Jaelle auf ihrer geistigen Verbindung übermittelt.
    Sie hatte diese Sendung mit weißglühendem Zorn geladen, und noch immer war sie stärker als alle anderen. Gut dann, hatte Audiart geantwortet. Wenn du es tun musst, dann musst du es tun. Ich werde sofort nach Paras Derval aufbrechen, um

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