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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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sein.
»Ist die Ware gesund?«
Stern zuckte erschrocken zusammen und wäre fast stehengeblieben. Engler hatte ihn zwar auf den Codesatz vorbereitet, doch als er jetzt fi el, kam es ihm vor, als hätte ihn ein Scharfrichter nach seinen letzten Worten gefragt. Noch sieben Meter.
Er blieb stehen. Wie vereinbart, ging er langsam in die Hocke und stellte so behutsam wie möglich den Korb auf den aufgeweichten Boden des Parkplatzes. Als Nächstes sollte er sich wieder aufrichten und mit dem Zeigeund Mittelfi nger der linken Hand ein V zum Siegeszeichen formen. »Damit ist der Deal besiegelt«, hatte Engler gesagt. Damit mache ich mich zur Zielscheibe, dachte Stern und
verharrte eine Sekunde länger als nötig über die Puppe gebeugt.
Und diese eine Sekunde veränderte alles. Vielleicht brach sich das Licht der Scheinwerfer aus diesem Blickwinkel an ders. Womöglich war es auch der geringere Abstand oder die immer höher steigende Morgensonne. Stern war es letztlich egal, warum er auf einmal ganz deutlich erkannte, wer da mit dünnen, vom Wind zerzausten Haaren vor ihm stand. Und das, obwohl er diesen Menschen erst ein einziges Mal in seinem Leben gesehen hatte.
Er gab sich einen Ruck, löste sich aus seiner Starre und stand langsam auf.
Was mache ich jetzt?
Der Schweiß sammelte sich unter der kratzenden Wollmaske.
Wie gebe ich ihm ein Zeichen? Ohne dass Engler misstrauisch wird?
Stern hob seinen Arm, der ihm auf einmal wie ein unkontrollierbares Bleigewicht an der Schulter pendelte. Es muss etwas geben. Irgendetwas musst du doch tun kön-
nen.
Er wollte sich die Mütze und das Klebeband vom Kopf reißen, um den Knebel zu entfernen, doch diese verdächtige Bewegung würde Simons Tod bedeuten.
Der Arm des Unbekannten war schon auf halber Strecke in Hüfthöhe angelangt. Stern ahnte mehr, als dass er wirklich sah, wie der Mann vor ihm etwas aus der Hosentasche zog. Eine Pistole? Einen Revolver? Egal was. Nur noch zwei Se-
kunden, und du bist Geschichte. Stern würgte. War sich ganz
sicher, dass in diesem Moment eine Waffe auf seinen Kopf zielte, auch wenn er die Hände des »Rächers« nicht sehen konnte.
Ein gutturaler Laut, so leise, dass nur er selbst ihn hörte, löste sich aus seiner trockenen Kehle. Und das löste endlich auch die Blockade in seinem Kopf.
Genau! Das ist es!
Es war idiotisch, banal und wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Aber zumindest würde er nicht völlig untätig seinen Tod begrüßen.
Klick.
In sieben Meter Entfernung vor ihm hatte der bekannte Fremde einen Hahn gespannt. Stern hob dennoch seinen Arm, schloss die Augen und begann zu summen. Sechs Töne, die simpelste Melodiefolge, die er kannte. Aber die einzige, die Sinn machte und die er mit seinem Mumiengesicht überhaupt herausbekam.
»Money, Money, Money.«
Er hoffte, der alte Abba-Fan würde es erkennen. Betete, dass dieser Hinweis das Victory-Zeichen seiner linken Hand Lügen strafen würde. Dass es genug war, um den Mann stutzen zu lassen, über dessen Rollstuhl er erst vorgestern bei seinem Besuch im Krankenhaus gestolpert war. »Money, Money, Money.«
Er summte den Refrain ein letztes Mal. Dann schloss er die Augen in Erwartung einer tödlichen Explosion in seinem Schädel.
Als nach zwei Sekunden immer noch nichts passiert war, blinzelte er zaghaft. Gewann etwas Hoffnung, spürte, wie sich sein Puls beschleunigte, und öffnete, euphorisiert von der Möglichkeit, dass sein Zeichen vielleicht verstanden worden war, die Augen. Genau in dem Moment fi el der erste Schuss.
13.
E ngler sah, wie Stern nach hinten gerissen wurde, etwas
schwankte, bevor er dann hart mit dem Kopf auf den Asphalt schlug. Noch während der Anwalt zusammenbrach, stürmte der Kommissar nach vorne und sprang dem Schützen in den Rücken. Die Wucht des Aufpralls stauchte dem alten Mann zwei Lendenwirbel und brach ihm eine Rippe. Der Ermittler stand wieder auf und trat seinem brüllenden Opfer die Waffe aus der Hand. Schließlich drehte er den Alten auf den Rücken, setzte sich so auf seine Hüften, dass dieser seine Arme nicht mehr bewegen konnte, und hielt ihm die Pistole direkt vor die Stirn.
»Wer zum Teufel bist du?«, schrie er.
Der Schein der Taschenlampe, die auf dem Lauf seiner Handfeuerwaffe steckte, traf auf ein faltiges Gesicht, das er noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. »Losensky. Ich heiße Frederik Losensky«, keuchte der Alte. Dann spuckte er dem Kommissar einen blutigen Pfropfen ins Gesicht. Der wischte sich mit dem Ärmel die

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