Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
etwas, das sie völlig unwissentlich auf einer der tiefsten Bewusstseinsebenen ihres Gehirns abgespeichert haben. Würde man eine solche Rückführung zum Beispiel mit Ihnen machen, Herr Borchert, wäre es möglich, dass Sie sich an diese Mittelalterdokumentation im Fernsehen erinnern und sich deshalb für eine Hexe halten, die auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Und Sie würden sogar exakte Jahreszahlen und Orte benennen können, denn die haben Sie ja von dem Sprecher im Fernsehen erzählt bekommen.« »Aber ich habe keine Bilder gesehen.«
»Doch, und zwar Ihre eigenen Bilder in der Phantasie, die oftmals stärker sind als reale Eindrücke. Sie kennen das vielleicht vom Lesen eines Buches.«
»Hmmm, ja. Lange her. Und das heißt Kryptomniedingsbums?«
Simon spürte nun, wie der Krankenwagen immer stärker beschleunigte. Zuletzt war Carina in so einem Tempo zu der Industrieruine gefahren, wo er das erste Mal seinen Anwalt getroffen hatte.
Robert und Carina . Wo waren sie überhaupt?
»Es heißt Kryptomnesie. Das ist der Fachausdruck, wenn Sie fremdes Wissen, das Sie unterbewusst wahrgenommen haben, als Ihr eigenes ausgeben. Können Sie mir noch folgen?« »Noch geht’s. Aber Simon ist doch wohl nicht vor einem Fernseher eingeschlafen?«
Simon war versucht zu blinzeln und kniff die Augen zusammen. Je stärker er die Lider auf seine Pupillen presste, desto schärfer wurden die Konturen eines Bildes, von dem er eben noch geträumt hatte.
Von der Tür. Mit der Nummer 17.
»Nein, das nicht«, antwortete Müller. »Aber so ähnlich. Ich glaube, Sie wissen, dass wir vor gut einem Monat bei ihm die Strahlentherapie unterbrochen haben?«
»Ja.«
»Anlass waren die Nebenwirkungen. Simon kam mit einundvierzig Fieber und Lungenentzündung auf die Intensivstation. Zur gleichen Zeit wurde ein anderer Patient eingeliefert.«
»Frederik Losensky.«
»Genau. Siebenundsechzig Jahre alt, Journalist, mit Verdacht auf einen leichten Herzinfarkt. Außer den ringförmigen Schmerzen um seine Brust zeigte er keine größeren
Auffälligkeiten, war bei vollem Bewusstsein und kam zur Überwachung erst einmal in intensivmedizinische Behandlung.«
»Ich rat mal: Er lag direkt neben Simon.« »So ist es. Wie Sie durch die Presse erfahren haben dürften, war Losensky für die Serienmorde an den Pädophilen verantwortlich.«
»Der ›Rächer‹.«
»Und er war ein sehr gottesfürchtiger Mensch. Schon zu diesem Zeitpunkt stand er mit dem Kopf des Kinderhändlerrings in Verbindung. Ich denke, es ist kein Zufall, dass er seinen Infarkt erlitt, kurz nachdem er die Bestätigung bekam, dass sich der ›Händler‹ persönlich mit ihm treffen wollte.«
»Und in dieser Nacht auf der Intensivstation hat sich Losensky mit Simon unterhalten?«
»Nein. Zu einem Gespräch war Simon gar nicht in der Lage. Sein Fieber war so heftig, dass wir alle schon mit seinem baldigen Ableben rechneten. Aber Losensky hat trotzdem, oder gerade deshalb, zu ihm gesprochen.« »Wie ein Fernseher?«
»Wenn Sie es so ausdrücken wollen. Wir vermuten, dass Losensky es als ein Zeichen von Gott ansah, ausgerechnet neben einem kleinen, todkranken Waisenjungen zu liegen. Für Kinder wie ihn hatte er doch die gesamte Schuld auf sich geladen. Also nutzte er die Nacht auf der Intensivstation und beichtete. Er erzählte Simon nacheinander von seinen Morden. Losensky war Autor, konnte die Taten also in allen Einzelheiten lebhaft und detailliert beschreiben.« »Verrückt.«
Borchert hustete, und Simon hätte es ihm gerne gleichgetan, aber noch wollte er die Aufmerksamkeit nicht auf sich zie hen.
Nicht, bevor er nicht verstanden hatte, was das Gespräch der beiden Erwachsenen mit dem Hotelzimmer in seinem Traum zu tun hatte, aus dem er gerade erwacht war. »Ja, es ist verrückt. Aber vielleicht hätte es uns auch wahnsinnig gemacht, wenn wir gesehen hätten, was Losensky in seinem Leben an Gewalt gegen Kinder erfahren musste. Wie dem auch sei. Simon erholte sich wider Erwarten, und die Geschichte nahm ihren Lauf. Denn als er am Tage seines zehnten Geburtstages während einer Rückführung in einen hypnotischen Trancezustand versetzt wurde, war es so, als hätte Dr. Tiefensee mit einer chirurgischen Nadel in eine bestimmte Region seines Unterbewusstseins gestochen. Die Gedächtnisblase platzte, und Simon erinnerte sich an etwas, was vor einem Monat durch den Nebel der Fieberträume den Weg in sein Gehirn gefunden hatte.«
»Losenskys Beichte.«
»Logischerweise wusste er nicht, wie er

Weitere Kostenlose Bücher