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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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fühlte sich wieder wie in dem Moment vor drei Jahren, als ihre Beziehung zerbrochen war. Damals, als Stern die Notbremse gezogen hatte, weil ihm alles zu schnell gegangen war.
»Bring Simon bitte zum Zoo«, sagte Stern. »Wir treffen uns in anderthalb Stunden am Elefantentor. Da fallen wir als Gruppe mit Kind nicht auf.«
»Warum so kompliziert? Weshalb kommst du nicht zu ihm hier in die Klinik?«
»Das ist nun schon die zweite Leiche, und jedes Mal war ich
der Erste am Fundort. Kannst du dir vorstellen, welchen Platz ich in Englers Rangliste der Verdächtigen einnehme?« »Verstehe«, hauchte Carina. Der Lift öffnete seine Türen, und Carina musste sich überwinden, nicht einfach wieder ins Erdgeschoss zurückzufahren. Im Augenblick wollte sie einfach nur noch verschwinden.
»Deswegen bin ich abgehauen, bevor die Polizei kam. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie herausbekommen, dass ich es wieder war, der den Toten gefunden hat. Ich hab nur einen kleinen Vorsprung, aber den will ich nutzen.« »Wozu?«
Stern atmete tief aus, bevor er antwortete, und Carina meinte einen Anfl ug von Misstrauen in seiner Stimme zu hören, während sie die Tür zu Zimmer 217 öffnete. »Ich habe noch eine Verabredung. Mit einem Freund von dir.«
Normalerweise hätte sie sofort nachgefragt, was er damit andeuten wollte. Doch nun fehlten ihr dazu die Worte. Sie wusste, dass Simon um diese Uhrzeit sonst immer die Wiederholung seiner Lieblingskrimiserie sah. Im Augenblick aber lief nur der Fernseher.
Sein Bett war leer.
9.
S ie wollen ihn also ins Verhör nehmen?«
Professor H. J. Müller kritzelte seine kaum lesbare Unterschrift auf den Brief an einen Mainzer Chefarztkollegen und klappte die Dokumentenmappe zu. Dann griff er sich einen silbernen Brieföffner und entfernte damit einen bläulichen Fussel unter dem Fingernagel seines Daumens. » Verhören ist sicher das falsche Wort in diesem Zusammenhang.« Der Polizist, der ihm gegenüber Platz genommen hatte, räusperte sich. »Wir wollen ihm nur ein paar Fragen stellen.«
Von wegen, dachte Müller und musterte den Mann, der sich
ihm als Kommissar Brandmann vorgestellt hatte. Eine normale Befragung würde das wohl kaum werden. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich dieser Methode meine Zustimmung geben kann. Ist so etwas überhaupt erlaubt?« »Ja, natürlich.«
Wirklich? Müller konnte sich kaum vorstellen, dass man da für keine Sondergenehmigung brauchte. Vom Polizeichef oder zumindest von irgendeinem Staatsanwalt. »Wo ist eigentlich Ihr Partner?« Müller sah auf den Querkalender vor sich. »Hatte meine Sekretärin nicht einen Herrn Dengler angekündigt?«
»Engler«, korrigierte Brandmann. »Mein Kollege lässt sich entschuldigen. Er wird gerade an einem anderen Tatort gebraucht, der mit diesem Fall in direkter Verbindung zu stehen scheint.«
»Verstehe.« Der Chefarzt verzog die Mundwinkel nach unten, so wie er es immer tat, wenn er jemanden untersuchte. Für einen kurzen Moment war der übergewichtige Mann
auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch kein Polizist, sondern ein Patient, dem er neben einer Diät dringend zu einer Schilddrüsenuntersuchung raten würde, so wie dessen Adamsapfel aus seinem Hals herausstach. Er schüttelte den Kopf und legte den Brieföffner auf seinen Rezeptblock.
»Nein. Meine Antwort heißt nein. Ich will den Patienten keinem unnötigen Stress aussetzen. Ich denke, Sie kennen seine Diagnose?« Müller faltete seine schlanken Hände. »Simon Sachs leidet unter einem S-PNET, einem supratentoriell gelegenen primitiven neuroektodermalen Tumor im Großhirn. Er breitet sich langsam von der rechten zur linken Hirnhälfte aus. Das heißt, er wandert bereits über das Corpus callosum. Ich persönlich habe die Biopsie bei ihm durchgeführt und den Tumor nach der Schädelöffnung für inoperabel befunden.«
Der Chefarzt bemühte sich sichtlich um ein verbindliches Lächeln. »Oder lassen Sie es mich für einen Laien wie Sie etwas verständlicher ausdrücken: Simon ist schwer krank.« »Eben deshalb wollen wir diesen Test so schnell wie möglich an ihm durchführen. Das erspart ihm viele lästige Befragungen und uns eine Menge Zeit. Wie ich hörte, wäre der Junge schon einmal fast an einer Lungenentzündung gestorben?«
Aha. Daher weht also der Wind.
Das Kind war ihr wichtigster Zeuge. Sie wollten ihn befragen, solange sie es noch konnten.
Nachdem die Chemound Strahlentherapie eine lebensgefährliche Pneumonie ausgelöst hatte, war Müller gegen den

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