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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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einen Arm über den Steinfußboden zerrte, oder einen vibrierenden Schwarm von Obstund Schmeißfl iegen, der als schwarze Wolke über einem halb geöffneten Kühlschrank waberte. Sein inneres Auge war auf jegliche Vorboten des Todes eingestellt, und gerade deshalb machte ihn der reale Anblick so unsagbar traurig.
Dabei hätte er doch eigentlich Erleichterung über die leere Garage verspüren müssen. Keine Möbel. Keine Elektrogeräte. Keine Bücher. Das Licht der angestaubten Glühbirne fiel lediglich auf zwei kleine Kisten mit altem Geschirr und einen abgewetzten Bürostuhl. Sonst nichts. Stern fühlte, wie sich ein Ventil in ihm öffnete, aus dem jede Hoffnung entwich. Schmerzhaft wurde ihm bewusst, mit welcher irrationalen Heftigkeit er sich gewünscht hatte, tatsächlich irgendetwas Lebloses in der Garage vorzufi nden. Je unerklärlicher sich Simons Erinnerungen in der Gegenwart manifestierten, desto mehr Sinn hätte es ergeben, an die Verbindung zwischen Felix und einem zehnjährigen Jungen mit einem Feuermal auf der Schulter zu glauben. Stern konnte kaum fassen, dass er diese irrationale Gleichung wirklich in seinem Unterbewusstsein aufgestellt hatte.
»So viel zu deinem Feng-Shui-Mist«, grunzte Borchert. Robert machte sich nicht die Mühe, ihm zu erklären, dass die klassische chinesische Philosophie der Bauund Gartengestaltung nichts mit Seelenwanderung oder Wiedergeburt zu tun hatte. Für den Diskothekenbesitzer war alles, was er
nicht mit Händen greifen konnte, spiritueller Psychoschwachsinn, von Menschen ausgedacht, die einfach zu viel Zeit hatten.
Und genau diese schlichte Lebenseinstellung hatte Stern bis vor kurzem noch so sympathisch gefunden. »Was soll denn das jetzt werden?«, wollte Borchert wissen, als er Stern plötzlich auf allen vieren den Boden entlangrutschen sah. Dieser antwortete ihm nicht sofort, sondern tastete weiter nach Rillen im staubigen Fußboden. Er spürte die Sinnlosigkeit seiner Handlungen, lange bevor er mit ihnen fertig war.
»Fehlanzeige«, sagte er schließlich und klopfte sich beim Aufstehen den Staub von seinem Kamelhaarmantel. »Kein doppelter Boden. Nichts.«
»Komisch. Wo deine Geschichte bisher doch so vernünftig klang«, lästerte Borchert. Aus irgendeinem Grund bildeten sich schon wieder Schweißtropfen auf seiner Stirn, obwohl er sich in der letzten Minute nicht mal vom Fleck bewegt hatte.
Stern warf beim Hinausgehen noch einen nachdenklichen Blick zurück, löschte schließlich das Licht und überließ seinem Helfer das Abschließen der sperrigen Tür. »Ich weiß nicht«, murmelte er wie im Selbstgespräch vor sich hin. »Irgendetwas stimmt nicht.«
»Jetzt, wo du’s sagst, fällt es mir auch auf.« Borchert zog den Schlüssel ab und grinste Stern an. »Vielleicht, dass wir hier im Nieselregen nach einer Leiche in einer Garage suchen?« »Nein. Das meine ich nicht. Wenn du vorgestern dabei gewesen wärst, würdest du mich verstehen. Ich meine, der Junge war die letzten Monate nur im Krankenhaus und davor in einem Heim. Wie konnte er von dem Toten in dem Industriekeller wissen? Er kannte sogar das ungefähre To desdatum.«
»Wurde das irgendwo bestätigt?«
»Ja«, sagte Stern, ohne die Quelle zu nennen. Bislang musste er der Stimme auf der DVD vertrauen.
»Dann muss es ihm jemand gesagt haben.«
»Das glaube ich ja auch, aber es passt trotzdem alles nicht zusammen.«
Borchert zuckte mit den Achseln. »Ich hab mal davon gehört, dass kleine Kinder unsichtbare Freunde haben, mit denen sie reden.«
»Vielleicht, wenn sie vier sind. Simon ist nicht schizophren, wenn du das meinst. Er hat keine Wahnvorstellungen. Der Kerl mit dem gespaltenen Schädel war real. Ich hab ihn selbst gefunden. Und hier. Die Sechs.« Stern deutete auf die Tür, auf der die Farbe der Zahl stark abgeblättert war. »Sie ist auf das Tor gemalt, so wie Simon es beschrieben hat.« »Dann war er halt mal hier und hat das gesehen.« »Er war ein Heimkind. In Karlshorst. Fast eine Autostunde von hier entfernt. Es ist äußerst unwahrscheinlich. Und selbst wenn. Das ergibt doch alles keinen Sinn. Wieso glaubt Simon, selbst ein Mörder zu sein, wenn es ihm ein anderer nur erzählt hat?«
»Was ist das hier? Eine Quizshow? Was weiß ich denn?«, schnaubte Borchert, doch Stern hörte ihm gar nicht zu. Er stellte die Fragen mehr, um seine eigenen Gedanken zu ordnen als um der schlüssigen Antworten willen. »Okay, mal angenommen, es gibt jemanden, der Simon benutzt – warum sucht sich der

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