Das Kind
Mörder ausgerechnet einen kleinen Jungen, um uns zu der Leiche zu führen? Wozu die Mühe? Er kann doch einfach zum Hörer greifen und die Polizei anrufen.«
»Hey, Sie da!«, brüllte es plötzlich vom Eingang des Haupt gebäudes herüber. Ein kleiner Mann in einem blauen Handwerkeroverall watschelte in leichter Schräglage über den nassen Hof auf sie zu.
»Das ist der Alte. Ihm gehört die Spedition«, erklärte Borchert. »Nicht wundern, der hat zu viele Kisten geschleppt und geht seit seinem Bandscheibenvorfall etwas krumm.« »Was macht ihr Pappnasen hier auf meinem Gelände?«, rief er, mit den Armen fuchtelnd, und Stern bereitete sich innerlich schon auf die nächste Auseinandersetzung vor. Da blieb der Firmenchef plötzlich stehen und lachte kehlig. »Ach du bist’s, Borchert. Jetzt weiß ich auch, warum mein nutzloser Neffe die Windeln voll hat.«
»Du warst nicht da, und wir hatten’s eilig, Giesbach.« »Schon gut, schon gut. Hättest ja auch anrufen können.« Der Alte nahm Borchert den Schlüssel aus der Hand und sah Stern an.
»Nummer sechs, hä?«
Robert hätte gern das wettergegerbte Gesicht des Speditionschefs genauer studiert, doch er musste sich abwenden, als er die dicken Speichelfäden sah, die Giesbachs Lippen bei jedem Wort zogen, als würde er gerade ein Stück Käsepizza lutschen.
»Was wolltet ihr denn da drinnen?«
»Mein Kumpel sucht eine Zweitwohnung«, grinste Borchert. »Frag ja nur. Ausgerechnet die Sechs.«
»Wieso ausgerechnet? «, wollte Stern wissen. »Das war der einzige Schuppen, den ich auf Dauer vermietet hatte.«
»An wen?«
»Jungchen. Glaubst du, das interessiert mich, wenn einer bar bezahlt? Zehn Jahre im Voraus?«
»Aber wieso mietet einer eine leere Garage?«
»Leer?«
In dem Moment, in dem das spöttische Gelächter des alten Mannes einsetzte, erkannte Stern, was er vorhin in der Garage übersehen hatte. Die Schleifspuren. Im Staub . »Die war voll bis unters Dach. Wir haben sie letzte Woche ausgemistet, nachdem der Vertrag ausgelaufen war.« »Was?«, fragten Borchert und Stern wie aus einem Munde. »Wo haben Sie die Möbel hingeschafft?«
»Da, wo sie hingehören. Auf den Sperrmüll.« Stern fühlte, wie sein Herz für zwei Schläge aussetzte, als er dem Blick des krummen Spediteurs folgte. Und auf einmal war sie wieder da. Die Hoffnung.
»Hätten wir schon vor zwei Jahren tun müssen. Entrümpeln. Ist uns gar nicht aufgefallen, dass der Vertrag abgelaufen war, weil wir die einstelligen Garagen eigentlich gar nicht mehr vermieten. Sollen eh abgerissen werden.« Robert drehte sich um und ging langsam, wie in Zeitlupe, auf den rostbraunen Container zu, an dem sie vorhin schon einmal vorbeigekommen waren. Als er so nahe dran war, dass er über die Kante hineinsehen konnte, saß die schwarze Katze noch immer da. Sie hockte auf einem Stapel alter Zeitungen vor einem vergilbten Kasten, und ganz offensichtlich gefi el ihr die undichte Stelle des Gerätes, aus dem eine blassgelbe Flüssigkeit heraustropfte. Jedenfalls ließ sie sich nicht von Stern stören, als dieser in den Container hineinkletterte. Sie leckte einfach weiter an der Gummidichtung des alten Kühlschranks, der bestimmt seit zwölf Jahren nicht mehr auf dem Markt war.
8.
W ie stellst du dir das vor?«
Carina stieß mit ihrem Fuß die Autotür zu und lief mit dem Handy am Ohr die Auffahrt des Krankenhauses hoch. Sie hatte ihren Wagen vor der Klinik abstellen müssen, da sämtliche noch freien Parkplätze auf dem Gelände von Fahrzeugen blockiert wurden, die hier sicherlich unberechtigt standen. Doch wenn man es genau nahm, hatte sie auf den offi ziellen Stellplätzen ohnehin nichts mehr verloren. Offi ziell war sie beurlaubt. Inoffi ziell konnte sie sich schon mal nach einem neuen Job umsehen.
»Die Klinik ist doch kein Hochsicherheitstrakt!«, hörte sie Stern sagen. Seine Stimme klang abgehackt und wurde streckenweise von Verkehrslärm im Hintergrund überlagert. »Es wird doch wohl eine Möglichkeit geben, Simon da rauszuholen.«
Der Verlauf des Telefonates behagte ihr ganz und gar nicht. Zwei Tage lang hatte sie vergeblich auf ein Lebenszeichen von Robert gewartet. Und jetzt das! Anstatt mit ihr in Ruhe über die unerklärlichen Vorfälle zu sprechen, legte er offenbar alles darauf an, die Schwierigkeiten noch zu vergrößern, in denen sie steckte.
»Was willst du denn von Simon?«
»Das, worum du mich gebeten hast. Ich gehe seinen Aussagen nach.«
Na wunderbar.
Das ging auf ihr Konto. Schließlich
Weitere Kostenlose Bücher