Das Kind
fragte Simon im Nebenzimmer über die Gegensprechanlage.
»Ja?«
»Es kitzelt.«
»Kein Problem. Noch darfst du dich bewegen.«
»Was meint er?«, fragte Brandmann.
»Den Lärmschutz in seinem Ohr. Es juckt immer, wenn die Schaumstoffdinger nach einer Weile warm werden.« »Okay, ich wäre dann so weit.« Die Blondine kroch kaugummikauend unter dem Pult hervor, nachdem es ihr offenbar gelungen war, ihren Computer mit dem des Krankenhauses zu verbinden. Sie zog sich einen Bürostuhl heran, setzte sich vor den Rollwagen, auf dem ein kleiner grauer Monitor stand, und drückte den Knopf für die Gegensprechanlage.
»Hallo, Simon, ich bin Laura.« Ihre Stimme klang unerwartet freundlich.
»Hallo.«
»Ich werde dir gleich ein paar Fragen stellen. Die meisten davon musst du nur mit Ja oder Nein beantworten, okay?« »War das schon die erste?«
Die Erwachsenen mussten lächeln.
»Schön, wir verstehen uns. Dann kann’s ja losgehen. Nur noch eins: Was immer auch geschieht, du darfst auf gar keinen Fall die Augen öffnen.«
»Ist gut.«
»Meine Herren.« Laura machte eine einladende Handbewegung.
Mit geübten Handgriffen aktivierte Müller das elektronische System des Kernspintomographen, und die Untersuchung begann mit den typischen monotonen Stoßklängen, als wolle jemand einen Pflock einrammen. Trotz zugezogener Schallschutztür konnten sie hier im Vorraum die hämmernden Geräusche nicht nur hören, sondern auch spüren. Nach einigen Minuten wurden sie von tiefen, an den Magenwänden ziehenden Bässen abgelöst.
»Nenn mir bitte als Erstes deinen Vorund Nachnamen«,
bat Laura.
»Simon Sachs.«
»Wie alt bist du?«
»Zehn.«
»Wie heißt deine Mutter?«
»Sandra.«
»Und dein Vater?«
»Weiß ich nicht.«
Laura sah zu Müller auf, der lakonisch mit den Schultern zuckte. »Er ist Sozialwaise. Seine Mutter hat ihn aufgegeben. Seinen Vater hat er nie kennengelernt.« Die Kriminalistin stellte noch zehn Ja-Nein-Fragen, bevor sie zum nächsten Teil des Tests überging. »Okay Simon, jetzt wird’s ernst. Jetzt möchte ich, dass du mich anlügst.«
»Warum das denn?«
»Du hast doch schon einmal diese Computerbilder gesehen, die von deinem Gehirn gemacht wurden?«, stellte sie die Gegenfrage.
»Ja. Sie sehen aus wie aufgeschnittene Walnüsse.« Die Beamtin lachte. »Genau. In diesem Moment machen wir wieder solche Walnuss-Aufnahmen. Du kannst sie dir später als Videofi lm ansehen. Und wenn du jetzt für mich lügst, wirst du nachher etwas ganz Irres darauf erkennen.« »Na schön.«
Laura sah kurz zu Brandmann und dem Professor, dann machte sie weiter mit der Befragung.
»Hast du einen Führerschein?«
»Ja.«
Müller starrte völlig fasziniert auf die hochaufl ösenden 3-DAufnahmen. Bei allen Antworten zuvor hatte sich nichts getan. Doch jetzt gab es plötzlich einen roten Ausschlag im
vorderen Neocortex.
»Was für ein Auto fährst du denn?«
»Einen Ferrari.«
»Und wo wohnst du?«
»In Afrika.«
»Sehen Sie?«, fl üsterte Laura in Müllers Richtung. »Überhöhte Gehirnaktivität in Thalamus und Amygdala. Beachten Sie auch die Messungen in allen anderen Bereichen, die für Simons Emotionen, Konfl iktsteuerung und Gedankenkontrolle zuständig sind.«
Sie tippte mit einem abgekauten Kugelschreiber auf einen weiteren rot pulsierenden Fleck am Bildschirm. »Das ist ganz typisch. Wenn jemand die Wahrheit sagt, bleibt es hier kalt. Doch bei einer Lüge muss der Proband seine Phantasie anstrengen und sich deshalb viel stärker konzentrieren. Unsere Software färbt diese auffälligen Hirnströme rot ein und macht sie dadurch als Lügen sichtbar.«
»Phantastisch«, rutschte es Müller heraus. Kein Wunder, dass dieses neue System herkömmlichen Lügendetektoren weit überlegen war. Ein normaler Polygraph maß nur die typischen Veränderungen in Puls, Blutdruck, der Atmung und der Schweißproduktion. Gut geschulten und psychologisch trainierten Probanden war es möglich, einige dieser Refl exe beim Lügen zu unterdrücken. Aber niemand konnte seine biochemischen Vorgänge im Gehirn unter Kontrolle halten. Jedenfalls nicht ohne jahrelange Vorbereitung. Laura schluckte ihren Kaugummi herunter und aktivierte wieder die Gegensprechanlage.
»Sehr schön, du machst das ganz toll, Simon. Jetzt kommen die letzten Fragen, dann sind wir durch. Du musst aber bitte ab sofort wieder die Wahrheit sagen, okay?« »Kein Problem.«
»Was hast du zum Geburtstag geschenkt bekommen?« »Turnschuhe.«
»Was noch?«
»Eine Rückführung.«
»Bei
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