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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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förderte zwei fi ngerhutgroße Baumwollsocken zutage.
»Suchst du etwa die hier?
»Ja!« Frida strahlte, nahm Sophie die Söckchen aus der Hand und stapfte aus der Küche.
»Ich komm gleich Licht ausmachen«, rief diese ihr hinterher. Dann erstarb das mütterliche Lächeln, und Robert blickte wieder in dasselbe zornige Gesicht wie vor der Unterbrechung. Eine Minute verlor keiner von ihnen ein Wort, bis Robert auf das Telefon an der Wand deutete. »Ruf die Polizei, wenn du willst. Ich kann gut verstehen, wenn du in meine Probleme nicht reingezogen werden willst, noch dazu, wo dein Mann seit heute Morgen auf Geschäftsreise ist.«
Sophie legte den Kopf schief, und ihre Augen verdunkelten sich. »Du hast dich nicht verändert, was? Glaubst du immer noch, ich brauche einen starken männlichen Beschützer im Haus, damit ich im Leben klarkomme?«
»Ich weiß nicht. Ich kenn dich ja nicht mehr.« »Warum bist du dann ausgerechnet zu mir gekommen?«
»Weil ich erpresst werde.«
»Von wem?«
»Von jemandem, der mir eine Aufnahme zugespielt hat, auf der Felix stirbt.«
Sophie sah aus, als wolle sie plötzlich durchsichtig werden, so schnell wich die Farbe aus ihrem Gesicht. »Ist es das? Hast du mich deswegen mitten in der Nacht angerufen?«
Stern nickte und versuchte, ihr die Geschichte so schonend wie möglich beizubringen. Er erzählte ihr von der DVD, den letzten Aufnahmen ihres gemeinsamen Babys und der Forderung der anonymen Stimme. Dabei ließ er das Bild des Jungen mit dem Feuermal bewusst aus. Genauso wenig erwähnte er die Drohungen des Killers gegen die Zwillinge. Im Gegensatz zu ihm hatte Sophie es fast geschafft, die Schwelle zu einem neuen Leben zu überschreiten. Ein erneuter Zweifel an Felix’ Tod würde sie mit einer Dampframme in eine Welt aus Depressionen, Sorge und Selbstmitleid zurückstoßen. Gleiches galt, wenn sie den plötzlichen Tod ihrer Kinder fürchten musste. Also log er sie an. Erzählte ihr, die »Stimme« habe ihm das Video als Beweis ihrer Allmacht zugespielt und würde nun mit der Ermordung von Simon drohen, wenn er nicht kooperiere.
Als Robert mit der abgeänderten Version seiner Erlebnisse endete, sah Sophie aus, als läge das Gewicht eines Stahlbetonträgers auf ihrer Brust.
»Bist du dir wirklich sicher, dass …?«, begann sie stockend und wollte nochmals ansetzen, ließ aber davon ab, als Robert nickte.
»Ja, ich habe es selbst gesehen.«
»Und wie? Ich meine, wie ist er …«
»Wie die Ärzte es gesagt haben. Er hörte einfach auf zu at men.«
Ein dunkler Fleck auf Sophies cremefarbener Seidenbluse wurde größer, und Robert brauchte eine Weile, bis er begriff, dass er von ihren lautlosen Tränen rührte. »Warum nur?«, schluchzte sie leise. »Weshalb habe ich nur so selten nach ihm gesehen?«
In Erwartung einer heftigen Zurückweisung ging er zu ihr und nahm ihre Hand. Sie entzog sich nicht, erwiderte aber auch nicht den Druck seiner Finger.
»Du warst müde, es war eine schwere Geburt.« Sophie fuhr sich mit der freien Hand durchs Haar und sah auf die Steinfl iesen zu ihren Füßen. Sie sprach durch einen dichten Tränenschleier. »Ich kann mich kaum noch erinnern. An sein Lächeln oder seine verklebten Augen oder irgendetwas anderes. Alles verblasst. Ich hab auch sein Schreien nur noch schwach im Ohr. Selbst sein Geruch verfl iegt langsam. Das teure französische Babyöl, das wir gekauft hatten, weißt du noch? Vielleicht wollte ich es ja deshalb nicht wahrhaben. Er roch so lebendig, als ich ihn das letzte Mal hielt. Und jetzt …«
Stern begriff schlagartig, was seine Worte bei ihr ausgelöst hatten. Offenbar hatte sie all die Jahre immer noch eine irrationale Hoffnung genährt, die jetzt zerstört war. Er beugte sich zu ihr, sah ihr in die Augen und bemerkte, dass ihre Tränen versiegt waren. Seine Finger gaben sofort ihre Hand frei. Hätte er sie noch länger gehalten, wäre es ihm wie eine Vergewaltigung vorgekommen. Der kurze Moment der Intimität war vorbei.
Robert und Sophie schwiegen sich noch eine Weile an, dann wandte er sich von ihr ab und ließ die Mutter seines Sohnes allein in der Küche zurück. Auf der Suche nach Simon, Carina und einem Platz zum Schlafen stieg er leise die Kel lertreppe hinab. Von draußen hörte er, wie die kalten, regnerischen Winde am Gartenzaun und den Dachschindeln rissen, und irgendwie war ihm, als seien dies erst die leisen Vorzeichen für eine Nacht, die äußerst stürmisch werden sollte.
12.
D as Gästezimmer befand sich im

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